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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 20.3.2013, 10 AZR 744/11

eingetragen von Thilo Schwirtz am August 21st, 2013

Sozialkassenverfahren im Baugewerbe – Abbruchgewerbe – rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärung

Tenor

 

 

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. Juni 2011 – 10 Sa 909/10 – aufgehoben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. April 2010 – 4/5 Ca 1675/09 – abgeändert und die Klage abgewiesen hat.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. April 2010 – 4/5 Ca 1675/09 – wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

1
Die Parteien streiten noch über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 idF des Änderungstarifvertrags vom 15. Dezember 2005 (VTV) für den Zeitraum von Januar bis April 2006.
2
Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und Einzugstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
3
Der Beklagte unterhielt bis zum 30. Juni 2007 als Einzelunternehmer einen gewerblichen Betrieb, in dem überwiegend Abbrucharbeiten ausgeführt wurden, ohne dass diese im Zusammenhang mit baulichen Leistungen standen. Er war im Wesentlichen als Subunternehmer für die M Abbruch und Rückbau GmbH(im Folgenden: M GmbH) tätig. Diese war Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V.
4
Bis zum 31. Dezember 2005 waren Abbruchbetriebe, deren Arbeit nicht im Zusammenhang mit baulichen Leistungen stand, von der Allgemeinverbindlichkeit des VTV ausgenommen.
5
Mit Schreiben vom 3. März 2005 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie gehe nach derzeitigem Kenntnisstand entsprechend seinen Angaben davon aus, dass eine Teilnahme an dem Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft ausgeschlossen sei.
6
Am 21. Dezember 2005 beantragten die Tarifvertragsparteien, den VTV idF des Änderungstarifvertrags vom 15. Dezember 2005 mit Wirkung zum 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich zu erklären. Dieser Antrag wurde am 31. Dezember 2005 veröffentlicht (BAnz. Nr. 248 S. 17325 ff.). In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung mit Rückwirkung erfolgen könne. Die Bekanntmachung lautet auszugsweise:
„Die Antragsteller beantragen, die Allgemeinverbindlicherklärung wie folgt einzuschränken:
III.
Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich nicht auf Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen mit Sitz im Inland,
2.
die ganz oder teilweise Bauwerke, Bauwerksteile oder einzelne Elemente aus Mauerwerk, Beton, Stahlbeton, Eisen, Stahl oder sonstigen Baustoffen, technische Anlagen abbrechen, demontieren, sprengen, Beton schneiden, sägen, bohren, pressen, soweit sie unmittelbar oder mittelbar Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V. sind;“
7
Am 24. Februar 2006 wurde dem Antrag mit den beantragten Einschränkungen entsprochen. Die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV wurde am 11. April 2006 bekannt gemacht (BAnz. Nr. 71 S. 2729 ff.).
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Beim Arbeitsgericht Wiesbaden ist zwischen den Parteien unter dem Aktenzeichen – 5/11 Ca 352/09 – ein Verfahren anhängig, in welchem die Klägerin eine Beitragsnachforderung für den Zeitraum Februar 2006 bis Oktober 2007 geltend macht. Diese Forderung beruht auf Nachmeldungen, die der Beklagte für den genannten Zeitraum vorgenommen hat.
9
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Betrieb des Beklagten falle in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Dieser sei zulässigerweise rückwirkend zum 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich erklärt worden. Bereits aus § 7 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes (DVO TVG) ergebe sich, dass eine Rückwirkung ohne weitere Voraussetzung jedenfalls bis zum Tag der Bekanntmachung des Antrags der Tarifvertragsparteien möglich sei.
10
Die Klägerin hat, soweit noch von Interesse, beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.971,42 Euro zu zahlen.
11
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärung des VTV zum 1. Januar 2006 sei unzulässig. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte Subunternehmer der M GmbH gewesen sei und deshalb von der Mitgliedschaft dieser Firma im Deutschen Abbruchverband e. V. profitiere. Der Beklagte genieße zudem Vertrauensschutz. Aufgrund des Schreibens der Klägerin vom 3. März 2005 habe er darauf vertrauen dürfen, dass er nicht am Sozialkassenverfahren teilnehmen müsse. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, ihn über eine Änderung der Rechtslage schriftlich zu informieren. Im Übrigen bestehe eine doppelte Rechtshängigkeit der streitgegenständlichen Ansprüche.
12
Das Arbeitsgericht hat der – ursprünglich die Zeit bis Juni 2007 umfassenden – Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie hinsichtlich des noch streitgegenständlichen Zeitraums abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht insoweit zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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I. Die Klage ist zulässig. Eine anderweitige Rechtshängigkeit der Sache (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) besteht nicht. Grundlage der hier streitgegenständlichen Beitragsforderungen sind die Meldungen des Steuerberaters des Beklagten vom 15. Juni 2009. Das beim Arbeitsgericht Wiesbaden anhängige Verfahren – 5/11 Ca 352/09 – betrifft hingegen Beitragsnachforderungen auf der Grundlage von darüber hinausgehenden Nachmeldungen des Beklagten. Es handelt sich um unterschiedliche Streitgegenstände.
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II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gemäß § 18 Abs. 2 VTV Anspruch auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge für die Monate Januar bis April 2006.
16
1. In dem Betrieb des Beklagten wurden im maßgeblichen Zeitraum überwiegend Abbrucharbeiten ausgeführt. Er war damit vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV).
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2. Der VTV findet Anwendung. Der Beklagte ist zwar nicht Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands und deshalb nicht nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden. Die Tarifgeltung ergibt sich jedoch aus § 5 Abs. 4 TVG. Der VTV wurde ab 1. Januar 2006 rechtswirksam für allgemeinverbindlich erklärt. Der Betrieb des Beklagten unterfällt keiner Einschränkung der Allgemeinverbindlichkeit.
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a) Der VTV ist wirksam rückwirkend zum 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich erklärt worden.
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aa) Bei der Rückwirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen sind die Grundsätze über die Rückwirkung von Gesetzen, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt worden sind, entsprechend anzuwenden (BAG 25. September 1996 – 4 AZR 209/95 – zu I 2.6.1 der Gründe mwN, BAGE 84, 147). Die Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung verletzt danach nicht die vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) umfassten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, soweit die Betroffenen mit ihr rechnen mussten (BAG 21. August 2007 – 3 AZR 102/06 – Rn. 27, BAGE 124, 1; vgl. auch BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115/86 – zu 4 b der Gründe, BVerwGE 80, 355).
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(1) Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Tarifvertrag rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt wird, durch den ein früherer allgemeinverbindlicher Tarifvertrag erneuert oder geändert wird. Bei dieser Sachlage müssen die Tarifgebundenen nicht nur mit einer Allgemeinverbindlicherklärung des Nachfolgetarifvertrags, sondern auch mit der Rückbeziehung der Allgemeinverbindlicherklärung auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens rechnen (st. Rspr., zB BAG 21. August 2007 – 3 AZR 102/06 – Rn. 27, BAGE 124, 1; 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – Rn. 25, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11).
21
(2) Bei der erstmaligen Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags in einer Berufssparte kommt eine Rückwirkung hingegen nur in Betracht, wenn auf diese Möglichkeit bereits bei der Veröffentlichung des Antrags der Tarifvertragsparteien hingewiesen worden ist. Eine Rückwirkung ist in diesen Fällen nur bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Antrags im Bundesanzeiger möglich (BAG 3. November 1982 – 4 AZR 1255/79 – BAGE 40, 288). Dem trägt auch § 7 Satz 3 DVO TVG (im Streitfall idF vom 25. November 2003, BGBl. I S. 2304) Rechnung. Danach liegt der Beginn der Allgemeinverbindlichkeit, „sofern es sich nicht um die Erneuerung oder die Änderung eines bereits für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags handelt, in aller Regel nicht vor dem Tag der Bekanntmachung des Antrags“.
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bb) Nach diesen Grundsätzen bestehen keine Bedenken gegen die rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärung des VTV zum 1. Januar 2006.
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(1) Der VTV war bereits vor dem 1. Januar 2006 allgemeinverbindlich. Die Allgemeinverbindlicherklärung betraf damit die Änderung eines bereits für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags. Allerdings war der Beklagte an den Vorgängertarifvertrag nicht gemäß § 5 Abs. 4 TVG gebunden, weil nach den bis zum 31. Dezember 2005 maßgeblichen Allgemeinverbindlicherklärungen Abbruchbetriebe, deren Arbeit nicht im Zusammenhang mit baulichen Leistungen stand, insgesamt von der Allgemeinverbindlichkeit ausgenommen waren. Auf die unmittelbare oder mittelbare Mitgliedschaft im Deutschen Abbruchverband e. V. kam es damals nicht an (BAG 12. Mai 2010 – 10 AZR 559/09 – Rn. 11, 16, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 320). Eine Tarifbindung des Beklagten konnte damit erstmals durch die ab 1. Januar 2006 geltende Allgemeinverbindlicherklärung entstehen.
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(2) Es kann im Streitfall dahinstehen, ob ein solcher Fall nach den Maßstäben für die Änderung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags zu beurteilen ist oder sich nach den (strengeren) Grundsätzen richten muss, die für die erstmalige Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gelten. Auch wenn man die Grundsätze anwendet, die für die rückwirkende erstmalige Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gelten, war die Rückwirkung zulässig. Der Antrag der Tarifvertragsparteien auf Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom 21. Dezember 2005 wurde am 31. Dezember 2005 und damit vor dem Zeitpunkt des beabsichtigten Inkrafttretens am 1. Januar 2006 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Bekanntmachung enthielt, wie in § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 DVO TVG vorgesehen, den Hinweis, dass die Allgemeinverbindlicherklärung rückwirkend erfolgen kann, und benannte den Umfang der beantragten Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung im Wortlaut. Damit mussten die betroffenen Kreise und insbesondere auch Arbeitgeber, die von der Allgemeinverbindlichkeit des Vorgängertarifvertrags nicht erfasst waren, damit rechnen, dass der VTV rückwirkend zum 1. Januar 2006 für allgemeinverbindlich erklärt werden würde. Dementsprechend hat der Senat die Rückwirkung der hier streitgegenständlichen Allgemeinverbindlicherklärung auch in früheren Entscheidungen nicht beanstandet (BAG 17. Oktober 2012 – 10 AZR 500/11 -; 27. Oktober 2010 – 10 AZR 351/09 -; 27. Oktober 2010 – 10 AZR 362/09 – Rn. 27 f., AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 328).
25
b) Der Betrieb des Beklagten ist nicht durch die Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung von der Geltung des VTV ausgenommen.
26
aa) Die Voraussetzungen der Einschränkung iSd. Abschn. III Nr. 2 des Ersten Teils der Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006 sind nicht erfüllt. Der Beklagte war im streitgegenständlichen Zeitraum weder unmittelbar noch mittelbar Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V. Eine unmittelbare Mitgliedschaft behauptet der Beklagte selbst nicht. Es liegt auch keine mittelbare Mitgliedschaft vor. Eine solche setzt die Mitgliedschaft in einer Vereinigung voraus, die ihrerseits Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V. ist (vgl. zu Fällen der mittelbaren Mitgliedschaft: BAG 27. Oktober 2010 – 10 AZR 362/09 – Rn. 5, 28, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 328; 16. Juni 2010 – 4 AZR 934/08 – Rn. 44, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 324; 2. Juli 2008 – 10 AZR 386/07 – Rn. 21, 23, NZA-RR 2009, 145). Daran fehlt es hier. Die bloße Geschäftsbeziehung zur M GmbH, welche Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V. war, führt nicht zu einer mittelbaren Mitgliedschaft in diesem Verband.
27
bb) Dass die Voraussetzungen einer anderen Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung erfüllt sind, hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (BAG 2. Juli 2008 – 10 AZR 386/07 – Rn. 15, NZA-RR 2009, 145) nicht vorgetragen.
28
3. Die Geltendmachung der Beitragsansprüche durch die Klägerin verstößt nicht gegen Treu und Glauben. Zwar kann eine Rechtsausübung gemäß § 242 BGB unzulässig sein, wenn sich der Anspruchsteller damit in Widerspruch zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten setzt und für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG 9. Dezember 2009 – 10 AZR 850/08 – Rn. 31 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 318). Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
29
a) Durch die Geltendmachung der Beitragsansprüche setzt sich die Klägerin nicht in Widerspruch zu ihrem eigenen früheren Verhalten. Aus dem Schreiben vom 3. März 2005 folgt weder, dass die Klägerin den Beklagten auch in der Zukunft nicht zu dem Sozialkassenverfahren heranziehen werde, noch die Verpflichtung, den Beklagten über eine Änderung der maßgeblichen Umstände persönlich zu informieren. Vielmehr gibt das Schreiben lediglich die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Rechtslage wieder. Dies folgt aus dem Hinweis, die Teilnahme an dem Sozialkassenverfahren sei „nach derzeitigem Kenntnisstand“ ausgeschlossen, und aus der Aufforderung, die Klägerin bei einer Änderung der Tätigkeit zu informieren.
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b) Zudem war ein etwaiges Vertrauen des Beklagten nicht schützenswert. Eine unzulässige Rechtsausübung in Form eines „venire contra factum proprium“ setzt voraus, dass die maßgebliche Sach- und Rechtslage im Wesentlichen gleich geblieben ist. Nur dann kann der Schuldner aus einem bestimmten Verhalten des Gläubigers folgern, dass er auch in Zukunft nicht in Anspruch genommen werde (BAG 15. November 1995 – 10 AZR 150/95 – zu II 3 der Gründe). Daran fehlt es hier. Durch die gegenüber den Vorgängertarifverträgen modifizierten Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung änderte sich die Rechtslage. Mit der Bekanntmachung des Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung des VTV am 31. Dezember 2005 musste der Beklagte damit rechnen, ab dem 1. Januar 2006 zum Sozialkassenverfahren herangezogen zu werden.
31
c) Auch sonstige Umstände lassen die Geltendmachung durch die Klägerin nicht als treuwidrig erscheinen. Im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass die zugunsten der Klägerin bestehenden Auskunfts- und Beitragspflichten nicht nur das Verhältnis zwischen den Parteien, sondern auch schutzwürdige Drittinteressen betreffen. Das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe soll den besonderen tatsächlichen Arbeits- und Produktionsbedingungen dieses Wirtschaftszweigs Rechnung tragen. Die von den Tarifvertragsparteien geschaffenen gemeinsamen Einrichtungen dienen in erster Linie den Interessen der Arbeitnehmer. Diesen soll beispielsweise durch besondere Urlaubsregelungen ermöglicht werden, trotz eines Wechsels des Arbeitgebers einen zusammenhängenden Urlaubsanspruch zu erwerben. Durch eine Zusatzversorgung wird einer Minderung der Rente durch häufige Arbeitsausfälle entgegengewirkt. Auf Arbeitgeberseite kommt es zu einer Form des gemeinsamen Lastenausgleichs. Aus diesem Grund legte § 32 Abs. 1 VTV (jetzt § 31 Abs. 1 VTV) der Klägerin ausdrücklich die Pflicht auf, die von ihr einzuziehenden Beiträge rechtzeitig und vollständig zu erheben. Dies hat gleichmäßig von allen tarifunterworfenen Arbeitgebern zu erfolgen. Der Erlass von Ansprüchen war nur unter den in § 32 Abs. 2 VTV (jetzt § 31 Abs. 2 VTV) besonders geregelten Voraussetzungen möglich (BAG 27. Oktober 2010 – 10 AZR 362/09 – Rn. 25AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 328; 9. Dezember 2009 – 10 AZR 850/08 – Rn. 37 f., AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 318).
32
4. Die Höhe der Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum Januar bis April 2006 ist von der Klägerin schlüssig dargelegt und vom Beklagten nicht bestritten worden.
33
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
    Mikosch
    W. Reinfelder
    Mestwerdt
    Thiel
    D. Kiel