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Bemessungsdurchgriff bei der Aufstellung eines Sozialplans im Konzern.

eingetragen von Thilo Schwirtz am März 15th, 2011

Können sich Betriebsparteien nicht auf die Vereinbarung eines Sozialplans verständigen, entscheidet die Einigungsstelle. Bei ihrem Spruch hat sie gemäß § 112 Abs. 5 BetrVG die sozialen Belange der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Sozialplandotierung zu achten. Hierfür ist auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers (Unternehmens) abzustellen.

Dies gilt grundsätzlich auch für Sozialpläne konzernangehöriger Unternehmen. Ist allerdings ein solches Unternehmen durch eine Spaltung iSd. Umwandlungsgesetzes entstanden und sind dabei die zur Führung seines Betriebs wesentlichen Vermögensteile bei dem übertragenden Unternehmen als Anlagegesellschaft verblieben und dem später sozialplanpflichtigen Unternehmen als Betriebsgesellschaft lediglich zur Nutzung überlassen worden, ist nach § 134 UmwG bei der Bestimmung des Sozialplanvolumens im Wege eines Bemessungsdurchgriffs auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Anlagegesellschaft zu berücksichtigen.

Die K-AG hat sechs Rehakliniken betrieben. Diese gliederte sie Anfang des Jahres 2006 auf sechs Betriebsgesellschaften aus. In fünf Fällen behielt die K-AG das Eigentum an den Klinikgrundstücken. Im sechsten, streitgegenständlichen Fall der O-Klinik GmbH (Arbeitgeberin) war die K-AG nur Pächterin der Klinikimmobilie gewesen. Ende 2006 beschloss die Arbeitgeberin ihren hoch defizitären Klinikbetrieb einzustellen. Daraufhin wurde durch Spruch der Einigungsstelle ein Sozialplan mit einem Gesamtvolumen von 1,3 Mio. Euro aufgestellt. Zu dieser Zeit wies die Bilanz der Arbeitgeberin einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag von rund 3 Mio. Euro aus.

Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtete Antrag der Arbeitgeberin hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Spruch der Einigungsstelle überschreitet die Grenzen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit und verstößt deshalb gegen § 112 Abs. 5 BetrVG. Ein Bemessungsdurchgriff nach § 134 UmwG auf die vermögende K-AG war der Einigungsstelle verwehrt. Im Zuge der Ausgliederung waren der Arbeitgeberin keine für die Fortführung ihres Klinikbetriebs wesentlichen Vermögensteile entzogen worden.

[Quelle: PM des Bundesarbeitsgericht vom 15.03.2011]

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 ABR 97/09 –
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 4 TaBV 68/08 –

Weiterer Sachverhalt: Die antragstellende Arbeitgeberin betrieb eine Rehaklinik in B. mit 195 Betten, welche aufgrund eines mit Wirkung zum 1. Juli 2004 geschlossenen Ausgliederungs- und Übernahmevertrags auf sie übertragen wurde. Alleinige Gesellschafterin ist die K. AG, welche ihrerseits zu 93,8 % im Eigentum der Konzernobergesellschaft M. AG steht. Letztere verfügte im Jahre 2006 über Rückstellungen in Höhe von gut 22 Mio. Euro. Die Arbeitgeberin bilanzierte für das Geschäftsjahr von Juli 2005 bis Juni 2006 einen Verlust von gut 1,45 Mio. Euro sowie für das Geschäftsjahr von Juli 2006 bis Juni 2007 einen solchen von mehr als 3 Mio. Euro. Dagegen erwirtschaftete die K. AG im Geschäftsjahr 2006/2007 einen Gewinn von gut 6,5 Mio. Euro. Der Konzern erzielte in der Zeit von Juli 2006 bis März 2007 einen Überschuss iHv. 9,2 Mio. Euro. Im Januar 2007 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat ihren Entschluss mit, die von ihr betriebene Rehaklinik stillzulegen. Eine in der Folgezeit eingerichtete Einigungsstelle beschloss am 20. September 2007 gegen die Stimmen der Arbeitgeberin, welche ihrerseits einen Sozialplan mit einem Volumen von 341.000,00 Euro angeboten hatte, einen mit 1.324.900,00 Euro dotierten Sozialplan.

Mit ihrem Antrag begehrt die Arbeitgeberin die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle. Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, die Einigungsstelle habe bei der Dotierung ihr Regelungsermessen überschritten. Der Betriebsrat ist der Auffassung, bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberin sei diejenige der Konzernobergesellschaften einzubeziehen. Es sei eine analoge Anwendung von § 134 UmwG geboten. Außerdem lägen die Voraussetzungen eines Berechnungsdurchgriffs vor.

§ 112 BetrVG -Sozialplan-
1) …

5) Die Einigungsstelle hat bei ihrer Entscheidung nach Absatz 4 sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Dabei hat die Einigungsstelle sich im Rahmen billigen Ermessens insbesondere von folgenden Grundsätzen leiten zu lassen:

1. Sie soll beim Ausgleich oder bei der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, insbesondere durch Einkommensminderung, Wegfall von Sonderleistungen oder Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöhte Fahrtkosten, Leistungen vorsehen, die in der Regel den Gegebenheiten des Einzelfalles Rechnung tragen.
2. Sie hat die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Sie soll Arbeitnehmer von Leistungen ausschließen, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörenden Unternehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäftigung ablehnen; die mögliche Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort begründet für sich allein nicht die Unzumutbarkeit.
2a. Sie soll insbesondere die im Dritten Buch des Sozialgesetzbuches vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit berücksichtigen.
3. Sie hat bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.