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8 AZR 160/22 Anspruch auf Zahlung einer Abfindung – staatsanwaltschaftliche Pfändung dieses Anspruchs in Vollziehung eines strafprozessualen dinglichen Arrests

eingetragen von admin am Dezember 7th, 2023

– Zahlungsverzug – Verzugszinsen – Hinterlegung unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme – tarifvertragliche Ausschlussfrist – Auslegung

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 22. März 2022 – 1 Sa 241/20 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Zahlung von Verzugszinsen aus einem dem Kläger rechtskräftig zuerkannten Abfindungsbetrag.2

Der Kläger war bei der Beklagten – einem Unternehmen des Groß- und Außenhandels – auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22. Oktober 2002 (im Folgenden Arbeitsvertrag) im Warenzentrallager R/Thüringen als Lagerarbeiter und Staplerfahrer beschäftigt. Unter Nr. 9 des Arbeitsvertrags heißt es:

        „Im übrigen gelten die Bestimmungen des jeweils für das Unternehmen gültigen Tarifvertrages.“

3

In dem für den Betrieb der Beklagten einschlägigen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den thüringischen Betrieben des Groß- und Außenhandels vom 23. Juni 1997 (im Folgenden MTV) ist ua. geregelt:

        „§ 15 
        Fälligkeit und Erlöschen von Ansprüchen
        1.    Gehalt und Lohn sind am Schluß des vereinbarten Entgeltzeitraumes, Provisionen und Vergütung für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit spätestens am Schluß des folgenden Monats fällig, soweit Mehrarbeit nicht nach § 5 Ziff. 4 durch Freizeit abgegolten wird.
        2.    Der Anspruch nach Ziff. 1 sowie alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag sind binnen 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Urlaubsanspruch ist bis zum 31. Dezember des laufenden Kalenderjahres geltend zu machen. Weitere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind spätestens 3 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich anzuzeigen.
        3.    Die Ansprüche nach Ziff. 1 und 2 erlöschen, wenn sie nicht innerhalb der darin festgesetzten Fristen schriftlich dem anderen Vertragspartner gegenüber erhoben wurden. Dies setzt jedoch die Erfüllung des § 18 voraus.
        …       
        § 18   
        Aushang
        Ein Abdruck dieses Manteltarifvertrages muß an geeigneter Stelle im Betrieb, die jedem zugänglich ist, zur Einsicht ausliegen.“

4

Am 27. Oktober 2016 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, in dem sie – auszugsweise – Folgendes vereinbarten:

        1.    Beendigung des Arbeitsverhältnisses
                Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endet einvernehmlich zum 30.11.2016.
        2.           
        3.    Abfindung
                Der Arbeitnehmer erhält für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 18.000,- EUR brutto. Diese wird zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt. Nach den Vorschriften des Einkommenssteuergesetzes anfallende Steuern trägt der Arbeitnehmer.
                Die Abfindungszahlung ist zum Beendigungszeitpunkt fällig.“

5

Mit Pfändungsbeschluss vom 10. November 2016, der Beklagten zugestellt am 14. November 2016, pfändete die Staatsanwaltschaft G „In Vollziehung des dinglichen Arrestes des Amtsgerichts G vom 10.11.2016, Az. … gemäß §§ 111b Abs. 2 und 5, § 111 d, § 111 e und 111 f Abs. 3 Satz 3 StPO i. V. m. §§ 928, 930, 829, 840 ZPO“ für den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatsanwaltschaft G, „sämtliche Ansprüche und Rechte“ des Klägers gegen die Beklagte „auf Zahlung des Abfindungsanspruches bis zur Höhe von 78.000,00 EUR“. Der Beklagten – in dem Beschluss als Drittschuldnerin bezeichnet – wurde verboten, an den Kläger zu leisten. Dem Kläger als Pfändungsschuldner wurde geboten, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. Die Arrestierung erfolgte im Verlauf eines gegen den Kläger geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Hehlerei an aus dem Warenlager der Beklagten entwendeten Gegenständen sowie des Verdachts des gemeinschaftlichen Betrugs zum Nachteil Dritter. Das Verfahren endete mit dem Erlass eines – rechtskräftig gewordenen – Strafbefehls gegen den Kläger vom 7. Juni 2019, der neben der Verhängung einer Gesamtgeldstrafe die Anordnung der Einziehung von Wertersatz iHv. 4.680,00 Euro enthielt. Nachdem der Kläger bereits am 22. Januar 2018 zur Abwendung der staatsanwaltschaftlichen Pfändung einen Geldbetrag iHv. 5.500,00 Euro hinterlegt hatte, hob die Staatsanwaltschaft G am 12. Mai 2020 den Pfändungsbeschluss vom 10. November 2016 auf; zugleich verzichtete sie auf die durch die Pfändung erworbenen Rechte.6

Mit seiner am 30. Juni 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 21. Juli 2017 zugestellten Klage hat der Kläger von der Beklagten ua. zunächst die Zahlung der vereinbarten Abfindung iHv. 18.000,00 Euro brutto verlangt. Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020, der der Beklagten am 28. Mai 2020 zugestellt wurde, hat er sodann zusätzlich die Zahlung von Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich aus der Bruttoabfindung ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 2016 begehrt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.7

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte ua. verurteilt, an den Kläger eine Abfindung iHv. 18.000,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 13. Mai 2020 zu zahlen. Hinsichtlich der weitergehenden Zinsforderung hat es die Klage abgewiesen.8

Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger sein Zinsbegehren weiterverfolgt, wobei er nunmehr die Zahlung von Zinsen in gesetzlicher Höhe aus dem Bruttobetrag der Abfindung gefordert hat. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stünden wegen der – weiterhin – nicht erbrachten Abfindungsleistung Verzugszinsen bereits seit dem 1. Dezember 2016 zu. Die staatsanwaltschaftliche Pfändung habe den Verzugseintritt nicht gehindert, da für die Beklagte die Möglichkeit bestanden habe, die Abfindung zu hinterlegen. Die Beklagte schulde zudem die Verzinsung des Bruttobetrags der Abfindung.9

Der Kläger hat zuletzt – sinngemäß – beantragt,

        die Beklagte zu verurteilen, an ihn Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto seit dem 1. Dezember 2016 zu zahlen.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Klage sei hinsichtlich der zuletzt noch erhobenen Zinsforderung unbestimmt und daher unzulässig. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Sie schulde dem Kläger nach den Grundsätzen des rechtmäßigen Alternativverhaltens keine Verzinsung des Abfindungsbetrags für die Zeit vor der Aufhebung des Pfändungsbeschlusses. Insoweit sei nämlich zu berücksichtigen, dass nach § 12 Satz 1 des Thüringer Hinterlegungsgesetzes (ThürHintG) hinterlegte Geldbeträge nicht verzinst werden. Demnach hätte der Kläger auch im Fall der – an sich möglichen – Hinterlegung keine Zinsen beanspruchen können. Die Bestimmungen über die Hinterlegung in §§ 372 ff. BGB dienten nicht dazu, einen Gläubiger, aus dessen Sphäre – wie hier – der Grund dafür stamme, dass eine geschuldete Leistung ihm gegenüber nicht habe erbracht werden können, vor dem Verlust von Zinsansprüchen zu schützen. Im Übrigen seien die Zinsansprüche – soweit überhaupt entstanden – mangels fristgerechter Geltendmachung innerhalb der Ausschlussfristen des § 15 MTV erloschen. Zumindest teilweise sei die Zinsforderung auch verjährt.11

Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto seit dem 1. Januar 2017 zu zahlen. Im Übrigen, dh. hinsichtlich der auf den Monat Dezember 2016 entfallenden Zinsforderung, hat es die Berufung des Klägers – wegen Verjährung – zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter, soweit das Landesarbeitsgericht dem Kläger Zinsen für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 zuerkannt hat. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto (auch) für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 zuerkannt.13

A. Das Berufungsurteil ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht deshalb – teilweise – aufzuheben, weil die Urteilsformel nicht hinreichend bestimmt oder bestimmbar iSv. § 313 Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wäre (zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Urteilsausspruchs: vgl. BAG 16. Dezember 2021 – 2 AZR 235/21 – Rn. 12 f.; 27. Mai 2015 – 5 AZR 88/14 – Rn. 40, BAGE 152, 1; 15. Oktober 2013 – 9 AZR 564/12 – Rn. 23). Aus der Urteilsformel ergeben sich sowohl der mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsende Betrag von 18.000,00 Euro brutto (vgl. insoweit nur BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 1 b der Gründe, BAGE 97, 150) als auch der Beginn des Zinslaufs. Einer konkreten Bezifferung der Zinsforderung bedurfte es schon deshalb nicht, da die Beklagte nicht einmal behauptet hatte, die Hauptforderung, dh. die Abfindungsforderung erfüllt zu haben. Damit stand das Ende des Zinslaufs nicht fest. Dem Urteilsausspruch ist auch – unter zulässiger ergänzender Heranziehung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2021 – 2 AZR 235/21 – Rn. 12; 14. März 2012 – 7 AZR 147/11 – Rn. 19) – hinreichend klar zu entnehmen, dass die Zinsen „lediglich“ für die Zeit bis zu einer ggf. später eintretenden Erfüllung der Abfindungsforderung von 18.000,00 Euro zu leisten sind.14

B. Die auf Zahlung von Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 gerichtete Klage ist zulässig und begründet.15

I. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Insoweit gilt nichts anderes als für die Bestimmtheit der Urteilsformel (vgl. Rn. 13). Im Übrigen kann dahinstehen, ob in der zweitinstanzlich vorgenommenen Umstellung des Antrags auf eine Zinszahlung aus dem Bruttobetrag der Abfindung eine Klageänderung in der Berufungsinstanz liegt. Deren Zulässigkeit nach § 533 ZPO ist in der Revision analog § 268 ZPO nicht mehr zu prüfen, wenn das Landesarbeitsgericht – wie hier – in der Sache entschieden hat (st. Rspr., zB BAG 25. November 2021 – 8 AZR 226/20 – Rn. 30 mwN).16

II. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger die Zahlung von Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto auch für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020. Der Anspruch folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.17

1. Die Beklagte befand sich in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 mit der Zahlung der nach dem Aufhebungsvertrag der Parteien geschuldeten Abfindung iHv. 18.000,00 Euro brutto in Verzug iSv. § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.18

a) Die Beklagte war verpflichtet, an den Kläger eine Abfindung iHv. 18.000,00 Euro brutto zu zahlen. Dies steht aufgrund des – insoweit rechtskräftigen – Urteils des Arbeitsgerichts mit materieller Rechtskraft (§ 322 ZPO) zwischen den Parteien fest.19

b) Die Beklagte hat die Abfindung jedenfalls bis zur Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 28. Mai 2020 und damit während des gesamten noch streitgegenständlichen Zeitraums vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 nicht gezahlt. Einer Mahnung des Klägers bedurfte es nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht, weil für die Leistung der Beklagten eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war. Nach Nr. 3 Abs. 2 des Aufhebungsvertrags der Parteien war die Abfindung „zum Beendigungszeitpunkt“ fällig. Dies war ausweislich der in Nr. 1 des Aufhebungsvertrags unter den Parteien getroffenen Vereinbarung der Ablauf des 30. November 2016.20

c) Dem Verzugseintritt stehen weder die staatsanwaltschaftliche Pfändung der Abfindungsforderung vom 10. November 2016 noch das im Pfändungsbeschluss gegen die Beklagte verhängte Zahlungsverbot entgegen. Die Leistung ist insoweit nicht infolge eines Umstandes unterblieben, den die Beklagte nicht zu vertreten hat, § 286 Abs. 4 BGB. Zwar war es der Beklagten aufgrund des Pfändungsbeschlusses vom 10. November 2016 im Zeitraum zwischen der Zustellung dieses Beschlusses und dem 12. Mai 2020 nach § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO verboten, die Abfindung an den Kläger zu leisten. Hierdurch ist ihr die Erfüllung der Abfindungsforderung aber nicht unmöglich geworden, da sie die Möglichkeit der Hinterlegung nach § 372 Satz 2 BGB unter Verzicht auf das Rücknahmerecht (§ 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) hatte. Dass die Beklagte davon keinen Gebrauch gemacht hat, führt zu keiner anderen Bewertung.21

aa) Nach § 372 Satz 1 BGB kann der Schuldner Geld, Wertpapiere und sonstige Urkunden sowie Kostbarkeiten bei einer dazu bestimmten öffentlichen Stelle für den Gläubiger hinterlegen, wenn der Gläubiger im Verzug der Annahme ist. Das Gleiche gilt nach § 372 Satz 2 BGB, wenn der Schuldner aus einem anderen in der Person des Gläubigers liegenden Grund oder infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann.22

bb) Hiernach war die Beklagte berechtigt, die Abfindung nach deren Pfändung durch die Staatsanwaltschaft G bei einer dazu bestimmten öffentlichen Stelle zu hinterlegen.23

(1) Dass es sich bei der in Geld geschuldeten Abfindung um eine hinterlegungsfähige Sache iSv. § 372 Satz 1 BGB handelt, steht außer Frage. Die Beklagte war nach der mit dem Kläger getroffenen Vereinbarung mit Ablauf des 30. November 2016 auch berechtigt, die Abfindungsleistung zu bewirken. Denn der Abfindungsanspruch des Klägers war zu diesem Zeitpunkt fällig und „an sich“ auch erfüllbar (zu dieser Voraussetzung vgl. MüKoBGB/Fetzer 9. Aufl. § 372 Rn. 5; Staudinger/Kern [2022] § 372 Rn. 7).24

(2) Die Beklagte konnte ihre Verbindlichkeit zudem aus einem in der Person des Gläubigers liegenden Grund iSv. § 372 Satz 2 Alt. 1 BGB nicht erfüllen. Ein solcher Grund liegt anerkanntermaßen auch dann vor, wenn die Forderung mit einem Arrest belegt oder gepfändet, aber – wie hier – nicht zur Einziehung überwiesen ist, da in diesem Fall weder der ursprüngliche Gläubiger noch der Pfändungsgläubiger zur Entgegennahme der Leistung befugt ist (MüKoBGB/Fetzer 9. Aufl. § 372 Rn. 8; Staudinger/Kern [2022] § 372 Rn. 12; Gernhuber Die Erfüllung und ihre Surrogate 2. Aufl. § 15 II 4). Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Die staatsanwaltschaftliche Pfändung erfolgte nach der Begründung des Pfändungsbeschlusses vom 10. November 2016 und den darin aufgeführten Bestimmungen in Vollziehung eines durch das Amtsgericht G angeordneten dinglichen Arrests nach § 111b Abs. 2 und Abs. 5, §§ 111d, 111e und § 111f Abs. 3 StPO (in der vom 25. Juli 2015 bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung [aF]). Die Arrestierung auf der Grundlage dieser Bestimmungen zielt allein auf die Sicherung eines dem Verfall oder der Einziehung von Wertersatz unterliegenden Gegenstands. Eine Überweisung der Forderung nach §§ 835 f. ZPO findet und fand nicht statt (zur Vollziehung des Vermögensarrestes nach § 111f StPO nF vgl. MüKoStPO/Bittmann 2. Aufl. § 111f Rn. 9).25

cc) Der Beklagten ist wegen der Möglichkeit der Hinterlegung unter Verzicht auf das Rücknahmerecht (§ 372 iVm. § 376 Abs. 2 BGB) die Erfüllung der Abfindungsforderung nicht unmöglich geworden. Die Hinterlegung ist nämlich Erfüllungssurrogat. Ist die Rücknahme ausgeschlossen, wird der Schuldner durch die Hinterlegung von seiner Verbindlichkeit in gleicher Weise befreit, wie wenn er zur Zeit der Hinterlegung an den Gläubiger geleistet hätte, § 378 BGB (vgl. BGH 9. November 2021 – II ZR 137/20 – Rn. 16; 22. Februar 2007 – IX ZR 2/06 – Rn. 21; 10. Dezember 2004 – V ZR 340/03 – zu II der Gründe; MüKoBGB/Fetzer 9. Aufl. § 378 Rn. 6). Auf den Verzug der Beklagten hat die Pfändung der Abfindungsforderung wegen der Berechtigung der Beklagten, den gepfändeten Forderungsbetrag nach § 372 BGB unter Verzicht auf das Rücknahmerecht (§ 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) zu hinterlegen, demnach keine Auswirkung (vgl. bereits RG 17. Oktober 1901 – VI 209/01 – RGZ 49, 201; vgl. auch MüKoZPO/Smid 6. Aufl. § 829 Rn. 65; Zöller/Herget ZPO 34. Aufl. § 829 ZPO Rn. 19).26

2. Nach § 288 Abs. 1 iVm. § 247 BGB kann der Kläger für die Dauer des in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 bestehenden Zahlungsverzugs der Beklagten von dieser Verzugszinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Bruttobetrag der Abfindung, dh. aus 18.000,00 Euro brutto verlangen (vgl. BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – BAGE 97, 150).27

a) Die Beklagte kann dem Zinsanspruch des Klägers nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass nach § 12 Satz 1 ThürHintG hinterlegte Geldbeträge nicht verzinst werden und dem Kläger im Fall einer beklagtenseits erfolgten Hinterlegung bei einer Hinterlegungsstelle iSv. § 1 ThürHintG ein Zinsanspruch nicht entstanden wäre. Der vor diesem Hintergrund von der Beklagten erhobene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens greift nicht durch.28

aa) Die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, dh. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann grundsätzlich für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Die Erheblichkeit des Einwands richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm oder der Vertragspflicht (BAG 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14 – Rn. 68, BAGE 155, 347; BGH 10. Juli 2018 – II ZR 24/17 – Rn. 39, BGHZ 219, 193). Rechtmäßiges Alternativverhalten setzt voraus, dass derselbe Schadenserfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus (BAG 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14 – aaO; BGH 19. Januar 2023 – III ZR 234/21 – Rn. 47; 8. August 2022 – KZR 111/18 – Rn. 129; 10. Juli 2018 – II ZR 24/17 – aaO mwN).29

bb) An diesen Voraussetzungen fehlt es.30

(1) Dabei kann offenbleiben, ob gegenüber einem Zinsanspruch aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB überhaupt ein rechtmäßiges Alternativverhalten eingewendet werden kann, was das Landesarbeitsgericht vor dem Hintergrund ausgeschlossen hat, dass der in § 288 BGB geregelte Verzugszins den Ausgleich eines gesetzlich fingierten Mindestschadens bezweckt, den der Gläubiger ohne Rücksicht darauf erhalten soll, ob und in welcher Höhe ihm tatsächlich ein Schaden entstanden ist (zu diesem Zweck vgl. etwa: BAG 24. Juni 2021 – 5 AZR 385/20 – Rn. 34, BAGE 175, 182; 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 4 b bb der Gründe, BAGE 97, 150; BGH 26. Oktober 2011 – VIII ZR 30/11 – Rn. 12; 27. März 1980 – VII ZR 214/79 – zu 2 b der Gründe, BGHZ 77, 60).31

(2) Im Streitfall greift der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens bereits deshalb nicht durch, weil im Fall der Hinterlegung des Abfindungsbetrags nach § 372 BGB bei dessen Fälligkeit unter Verzicht auf das Rücknahmerecht (§ 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) derselbe Schadenserfolg gerade nicht eingetreten wäre.32

(a) Hätte die Beklagte den Abfindungsbetrag bei Fälligkeit der Abfindungsforderung nach § 372 BGB unter Verzicht auf die Rücknahme (§ 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) bei der zuständigen Hinterlegungsstelle hinterlegt, wäre sie mit der Zahlung der Abfindung nicht in Verzug geraten, ein verzugsbedingter Zinsschaden, für den sie hätte einstehen müssen, wäre nicht entstanden. Die Hinterlegung ist nämlich – wie unter Rn. 25 ausgeführt – Erfüllungssurrogat. Ist die Rücknahme ausgeschlossen, wird – wie ebenfalls unter Rn. 25 ausgeführt – der Schuldner durch die Hinterlegung von seiner Verbindlichkeit in gleicher Weise befreit, wie wenn er zur Zeit der Hinterlegung an den Gläubiger geleistet hätte, § 378 BGB.33

(b) Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass nach § 12 Satz 1 ThürHintG hinterlegte Geldbeträge nicht verzinst werden, der Kläger mithin für die hinterlegte Abfindung keine Zinsen hätte beanspruchen können. Insoweit handelt es sich nicht um einen durch einen Verzug herbeigeführten Schaden und damit nicht um denselben (Schadens-)Erfolg wie bei der verzugsbedingten Zinszahlungspflicht. Soweit die Beklagte meint, der Kläger sei hinsichtlich des Anspruchs auf Verzugszinsen nicht schutzwürdig, übersieht sie, dass derartige Überlegungen im Zusammenhang mit Verzugszinsansprüchen grundsätzlich keine Rolle spielen. Sie lässt zudem außer Acht, dass sie für sich eine Besserstellung in Anspruch nimmt, soweit sie meint, aufgrund der Pfändung Zinsen nicht leisten zu müssen, obwohl sie eine Hinterlegung unterlassen hat und mit dem Abfindungsbetrag weiterhin wirtschaften konnte.34

(c) Da bei einer Hinterlegung des Abfindungsbetrags bei dessen Fälligkeit unter Verzicht auf die Rücknahme (§ 372 iVm. § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) ein verzugsbedingter Zinsschaden, für den die Beklagte hätte einstehen müssen, nicht entstanden wäre, kann die Hinterlegung nicht zugleich ein „Alternativverhalten“ im Sinne des in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Zurechnung eines Schadenserfolgs anerkannten Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens sein.35

b) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 ist – wie das Landesarbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend erkannt hat – auch nicht nach § 15 Ziff. 3 Satz 1 MTV verfallen. Gesetzliche Zinsansprüche, die – wie hier – erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, werden von der tariflichen Ausschlussfristenregelung nicht erfasst. Das ergibt deren Auslegung. Es kommt deshalb insbesondere nicht darauf an, ob ein Abdruck des Tarifvertrags entsprechend den Vorgaben des § 18 MTV an geeigneter Stelle im Betrieb der Beklagten ausgelegen hat.36

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz der uneingeschränkten Überprüfung unterliegt, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB BAG 16. November 2022 – 10 AZR 210/19 – Rn. 13; 13. Oktober 2021 – 4 AZR 365/20 – Rn. 21 mwN).37

bb) In Anwendung dieser Grundsätze unterfallen die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers entstandenen streitgegenständlichen Verzugszinsansprüche nicht der tariflichen Regelung in § 15 MTV.38

(1) Nach § 15 Ziff. 3 Satz 1 MTV erlöschen „die Ansprüche nach Ziff. 1 und 2“, wenn sie nicht innerhalb der darin festgesetzten Fristen schriftlich gegenüber dem anderen Vertragspartner erhoben werden. Die Regelung differenziert im Hinblick auf die Ansprüche nach § 15 Ziff. 2 MTV nicht danach, ob diese – wie die in § 15 Ziff. 2 Satz 1 und Satz 2 MTV aufgeführten Ansprüche – „geltend zu machen“ oder – wie die in § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV behandelten weiteren Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis – „anzuzeigen“ sind. Sie erfasst vielmehr mit dem Begriff „erheben“ die geltend zu machenden und die anzuzeigenden Ansprüche iSv. § 15 Ziff. 1 und Ziff. 2 MTV gleichermaßen.39

(2) Zu den weiteren Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV zählen grundsätzlich auch gesetzliche Verzugszinsansprüche. Von dieser Bestimmung werden nämlich – über die in § 15 Ziff. 2 Satz 1 MTV geregelten tariflichen Ansprüche und den in § 15 Ziff. 2 Satz 2 MTV behandelten Urlaubsanspruch hinaus – alle gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche erfasst, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben. Dabei kommt es nicht auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern auf den Entstehungsbereich des Anspruchs an (vgl. etwa BAG 31. Januar 2023 – 9 AZR 244/20 – Rn. 64; 28. Oktober 2021 – 8 AZR 371/20 – Rn. 35; 26. November 2020 – 8 AZR 58/20 – Rn. 59 mwN, BAGE 173, 67).40

(3) § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV verlangt die schriftliche Anzeige der „weiteren“ Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis spätestens binnen drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese tarifliche Bestimmung ist dahin auszulegen, dass sie Ansprüche, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden, von vornherein nicht erfasst.41

(a) § 15 Ziff. 3 Satz 1 MTV ordnet iVm. § 15 Ziff. 1 und Ziff. 2 Satz 1 MTV für tarifvertraglich begründete Ansprüche an, dass diese innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber dem anderen Vertragspartner geltend zu machen sind und andernfalls erlöschen. Dies soll erkennbar unabhängig davon gelten, ob die Fälligkeit der tarifvertraglich begründeten Ansprüche vor oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintritt. Soweit demgegenüber die Regelung in § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV für „weitere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ für den Fristbeginn an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft, wird hiermit einerseits zum Ausdruck gebracht, dass die Vertragspartner nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht gehalten sein sollen, diese Ansprüche noch im laufenden Arbeitsverhältnis anzuzeigen. Den Vertragspartnern soll hierfür vielmehr ein längerer Zeitraum eingeräumt werden. Andererseits soll die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkennbar eine Zäsur dafür bilden, zeitnah auch andere Ansprüche als tarifliche zu klären und dem Vertragspartner durch Anzeige die Gelegenheit zu geben, sich auf noch offene Ansprüche einzustellen, Beweise zu sichern und ggf. Rücklagen zu bilden (allgemein zum Zweck tariflicher Ausschlussfristen vgl. etwa: BAG 23. Februar 2022 – 4 AZR 354/21 – Rn. 64; 11. April 2019 – 6 AZR 104/18 – Rn. 32, BAGE 166, 285; 28. Februar 2018 – 4 AZR 816/16 – Rn. 50 mwN, BAGE 162, 81). Dies kann nur dahin verstanden werden, dass von der Regelung in § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV nur die Ansprüche erfasst werden, die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig geworden sind. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien von der in § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV getroffenen Bestimmung auch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst wissen wollten, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und möglicherweise erst nach Ablauf der dreimonatigen Frist fällig und damit bezifferbar werden, spricht demgegenüber nichts. Auf solche Ansprüche könnte die Ausschlussfrist, die nach ihrem Wortlaut zum Erlöschen von Ansprüchen führt, die nicht „spätestens“ binnen der dreimonatigen Frist angezeigt worden sind, sinnvollerweise auch nicht angewendet werden (vgl. BAG 4. September 1991 – 5 AZR 647/90 – zu II 2 a der Gründe mwN).42

(b) § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV kann auch nicht ergänzend dahin ausgelegt werden, dass die dort genannten weiteren Ansprüche – ebenso wie die tariflichen Ansprüche – binnen drei Monaten ab Fälligkeit geltend zu machen sind. Vorliegend ist keine unbewusste oder nachträglich entstandene Tariflücke zu erkennen.43

(aa) Tarifvertragliche Regelungen sind einer ergänzenden Auslegung grundsätzlich nur dann zugänglich, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GGgeschützte Tarifautonomie verbunden ist. Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist (BAG 23. April 2013 – 3 AZR 23/11 – Rn. 29 mwN). Beides ist nicht der Fall. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr bewusst zwischen den Ansprüchen nach § 15 Ziff. 1 MTV und den übrigen Ansprüchen aus dem Tarifvertrag nach § 15 Ziff. 2 Satz 1 MTV auf der einen Seite, die allesamt binnen drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen sind, und den weiteren Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis nach § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV auf der anderen Seite, die spätestens drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzuzeigen sind, unterschieden. Bei Letzteren haben sie bewusst nicht an die Fälligkeit, sondern an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeknüpft. Da Ausschlussfristen wegen der Schwere der mit ihrer Versäumung verbundenen Folgen (Anspruchsverlust) grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. BAG 18. August 2011 – 8 AZR 187/10 – Rn. 25; 4. April 2001 – 4 AZR 242/00 – zu 3 c bb der Gründe), und es deshalb einer klaren Erkennbarkeit des Willens der Tarifvertragsparteien bedarf, welche Ansprüche in die Ausschlussfrist einbezogen sein sollen und ggf. welchem Fristenregime sie unterliegen (vgl. BAG 4. September 1991 – 5 AZR 647/90 – zu II 2 b der Gründe), ist für eine ergänzende Auslegung von § 15 Ziff. 2 Satz 3 MTV dahin, dass die dort genannten weiteren Ansprüche, soweit sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden, ebenso wie die tariflichen Ansprüche binnen drei Monaten ab Fälligkeit geltend zu machen sind, kein Raum.44

(bb) Aus den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Oktober 1974 (- 3 AZR 4/74 – zu 2 a der Gründe) und vom 18. Januar 1969 (- 3 AZR 451/67 – zu 3 und 4 der Gründe) folgt insoweit nichts AbweichendesZwar hat das Bundesarbeitsgericht in diesen Entscheidungen – andere Ausschlussfristenregelungen in Tarifverträgen des Groß- und Außenhandels betreffend – angenommen, dass die Ausschlussfristen für Ansprüche, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstünden oder beziffert werden können, erst zu laufen begönnen, wenn die Ansprüche fällig und bezifferbar geworden seien. Die in den vorgenannten Entscheidungen behandelten Ausschlussfristenregelungen stimmen jedoch nicht mit der in § 15 MTV getroffenen Regelung überein, sondern lauteten jeweils, dass im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses „alle Ansprüche beider (Arbeits)Vertragsparteien“ binnen einer bestimmten Frist nach tatsächlicher Beendigung geltend zu machen waren (zu den Einzelheiten: vgl. BAG 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – aaO; 18. Januar 1969 – 3 AZR 451/67 – aaO). Damit ließ sich ein Wille der Tarifvertragsparteien feststellen, eine allumfassende Regelung auch hinsichtlich der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden und/oder fällig werdenden Ansprüche zu treffen. Ein solcher Wille ist im Hinblick auf die in § 15 Ziff. 2 MTV getroffenen Regelungen indes nicht feststellbar. Im Übrigen haben die Tarifvertragsparteien des hier auszulegenden MTV nach Veröffentlichung der vorbezeichneten Entscheidungen keine Veranlassung gesehen, in Bezug auf Ansprüche, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig oder bezifferbar werden, eine konkrete Regelung zu treffen. Sie haben es vielmehr bei der Formulierung, wonach „weitere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis … spätestens 3 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich anzuzeigen“ sind, belassen, und eben nicht für „alle Ansprüche“ aus dem Arbeitsverhältnis im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine einheitliche Fristenregelung getroffen.45

cc) Danach sind die Zinsansprüche des Klägers nicht in Anwendung der tariflichen Ausschlussfrist in § 15 Ziff. 3 iVm. Ziff. 2 Satz 3 MTV verfallen.46

dd) Die Beklagte kann sich gegenüber den streitgegenständlichen Ansprüchen auch nicht auf einen Verfall des dem Zinsanspruch zugrundeliegenden Hauptanspruchs auf Zahlung der Abfindung berufen. Denn der Senat hat aufgrund des insoweit rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts bei seiner Entscheidung über die vom Abfindungsanspruch abhängigen Zinsforderungen von Amts wegen zugrunde zu legen, dass der Hauptanspruch im Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, dh. am 28. Mai 2020, (noch) bestand. Eine abweichende Entscheidung über die bindend entschiedene vorgreifliche Frage zum Bestehen des Abfindungsanspruchs ist ausgeschlossen (zur präjudiziellen Wirkung einer rechtskräftigen Vorentscheidung vgl. BAG 23. März 2017 – 8 AZR 91/15 – Rn. 14 mwN, BAGE 159, 1).47

c) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.000,00 Euro brutto für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 ist schließlich auch nicht verjährt. Ansprüche auf Verzugszinsen unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Diese beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGBmit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020, der Beklagten zugestellt am 28. Mai 2020, Zinsen aus der Abfindung für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 12. Mai 2020 eingeklagt. Dadurch ist die Verjährung für sämtliche noch streitgegenständlichen Zinsansprüche gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.