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Tarifvertragliche Öffnung für betriebliche Bündnisse für Arbeit

eingetragen von Thilo Schwirtz am Oktober 20th, 2010

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Arbeitgeberverband ein Anspruch gegen die tarifschließende Gewerkschaft auf Erteilung der Zustimmung zu einer vom Tarifvertrag abweichenden Betriebsvereinbarung zusteht. Die Parteien haben den ab Mai 2005 gültigen Rahmentarifvertrag für die Beschäftigten der Steine- und Erden-Industrie in Baden-Württemberg geschlossen. Der Rahmentarifvertrag enthält eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen, die auszugsweise wie folgt lautet:

“Die abweichenden betrieblichen Regelungen unterliegen dem Zustimmungsvorbehalt der Tarifvertragsparteien, die insbesondere prüfen, ob die Betriebsvereinbarung den Rahmen der Öffnungsklausel nicht überschreiten. Die Notwendigkeit der abweichenden Regelung muss anhand nachvollziehbarer Kriterien begründet werden. Bei Einvernehmen der Betriebsparteien und Konformität mit den tariflichen Bestimmungen sollen die Tarifvertragsparteien ihre Zustimmung erteilen.

Die S. KG, ein Mitgliedsunternehmen des klagenden Verbandes, vereinbarte mit ihrem Betriebsrat wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine “Betriebsvereinbarung zur Jahresabschlussvergütung 2005″. Danach sollte die tarifliche Jahresabschlussvergütung für das Jahr 2005 von 100 % des tariflichen Bruttomonatsentgelts auf 775,00 Euro brutto abgesenkt werden. Der Kläger erteilte die Zustimmung zu dieser Betriebsvereinbarung. Die beklagte Gewerkschaft verweigerte sie.

Mit seiner Klage begehrt der Industrieverband, die Gewerkschaft zur Erteilung der Zustimmung zu verurteilen. Er ist der Auffassung, die Verweigerung der Zustimmung unterliege der gerichtlichen Prüfung. Die Gewerkschaft habe die begehrte Zustimmung zu Unrecht nicht erteilt. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die tarifliche Zustimmungsregelung nicht justiziabel sei. Zudem hätten keine tiefgreifenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der S. KG vorgelegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des klagenden Verbandes der Klage stattgegeben. Mit der auf ihre Nichtzulassungsbeschwerde hin vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Arbeitgeberverband Recht gegeben und die Gewerkschaft verurteilt, der abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung zu erteilen. Die „Soll“-Bestimmung führt zu einer Zustimmungspflicht, wenn die Kriterien für die Betriebsvereinbarung eingehalten sind und der die Zustimmung verweigernden Tarifvertragspartei keine gewichtigen Gründe für ihre Weigerung zur Verfügung stehen.

Wenn Tarifvertragsparteien in einem Flächentarifvertrag vereinbaren, dass im Falle der begründeten Notwendigkeit abweichender betrieblicher Regelungen zu bestimmten, im Tarifvertrag aufgeführten Zwecken einer entsprechenden Betriebsvereinbarung über abweichende Arbeitsbedingungen von den Tarifvertragsparteien zugestimmt werden „soll“, und wenn die möglichen Abweichungen im Tarifvertrag selbst eingegrenzt sind, begründet dies bei Einhaltung dieser Kriterien eine tarifvertragliche Pflicht der Tarifvertragsparteien zur Erteilung der Zustimmung, wenn nicht gewichtige konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall einer solchen Zustimmung entgegenstehen. Die Einhaltung dieser Pflicht kann von dem anderen Tarifvertragspartner geltend gemacht werden.

In einem regionalen Rahmentarifvertrag hatten die Tarifvertragsparteien ua. der Beton- und Fertigteilindustrie eine Öffnungsklausel für betriebliche Regelungen vereinbart. Danach sollte es ua. möglich sein, mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien durch eine Betriebsvereinbarung eine Veränderung der ansonsten festgelegten tariflichen Leistungen um insgesamt bis zu einem Bruttomonatsentgelt herbeizuführen. Für den Fall, dass dabei die hierzu weiter ergangenen tariflichen Bestimmungen eingehalten werden (ua. Begründung der Notwendigkeit anhand nachvollziehbarer Kriterien, beschäftigungssichernder und wettbewerbsverbessernder Zweck der Veränderung), bestimmte der Tarifvertrag, dass die Zustimmung erteilt werden „soll“. Im zu entscheidenden Fall hatte die Gewerkschaft einer solchen abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung versagt, und sich darauf berufen, dass ihr insoweit ein großer Ermessensspielraum zur Verfügung stehe, der von den Arbeitsgerichten nicht überprüft werden könne. Der Arbeitgeberverband hatte die Erteilung der Zustimmung vor den Gerichten für Arbeitssachen eingeklagt.

[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2010]

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Oktober 2010 – 4 AZR 105/09 –
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 6. März 2008 – 9 Sa 798/07 –