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Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur im Insolvenzverfahren

eingetragen von Thilo Schwirtz am Dezember 28th, 2013

Die durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO im Insolvenzverfahren eröffnete Möglichkeit der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur durch Bildung von Altersgruppen verletzt das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht. Sie ist durch das legitime Ziel der Sanierung eines insolventen Unternehmens gerechtfertigt. Die Arbeitsgerichte haben aber zu prüfen, ob die Altersgruppenbildung im konkreten Interessenausgleich gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist. Der kündigende Insolvenzverwalter ist darlegungs- und beweispflichtig für die sanierungsbedingte Erforderlichkeit der Altersgruppenbildung.

Der 1960 geborene Kläger war bei der Schuldnerin seit 1998 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Am 1. April 2011 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1. zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss am selben Tag mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der sich auch der Name des Klägers befindet. Die Sozialauswahl wurde nach Altersgruppen vorgenommen. In der von Kündigungen ausgenommenen Altersgruppe 1 waren alle bis zu 44-jährigen Arbeitnehmer zusammengefasst. Das Durchschnittsalter aller Arbeitnehmer lag bei 51 Jahren. Mit Schreiben vom 1. April 2011 kündigte der Beklagte zu 1. das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Juli 2011. Am 5. April 2011 ging der Betrieb auf die Beklagte zu 2. über. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung und verlangt seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu 2. Er meint, die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft.Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Darlegungen der Beklagten lassen nicht erkennen, dass die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur durch die vorgenommene Altersgruppenbildung sanierungsbedingt erforderlich war. Den Parteien ist Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags zu geben, denn bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung wäre die Auswahl bezogen auf den Kläger grob fehlerhaft.

 

[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 19.12.2013]

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 790/12 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 23. Mai 2012 – 4 Sa 658/11 –

 

 

§ 125 InsO (Interessenausgleich und Kündigungsschutz)

1) Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes mit folgenden Maßgaben anzuwenden:

1. es wird vermutet, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist;

2. die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Satz 1 gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

2) Der Interessenausgleich nach Absatz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes.