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Maultaschenfall

eingetragen von Thilo Schwirtz am September 27th, 2010

Die Klägerin, eine zum Zeitpunkt der Kündigung fast 58 Jahre alte Altenpflegerin, die bei der Beklagten sein 1992 beschäftigt ist, wendet sich gegen die fristlose Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die ordentliche Kündigung ist auf Grund von tarifvertraglichen Regelungen ausgeschlossen. Der Kündigung erfolgte, weil die Klägerin einige Maultaschen, die ursprünglich für das  Mittagessen der Heimbewohner bestimmt waren, an sich nahm. Ob es drei bis vier oder sechs Maultaschen waren ist zwischen den Parteien streitig, ebenso die Frage, ob die Klägerin diese Maultaschen noch in dem Altenheim essen oder mit nehmen wollte. Übrig gebliebenes Mittagessen wird dort ausnahmslos als Abfall entsorgt, so wären auch diese Maultaschen weggeworfen worden. Dass es verboten war, Reste der Bewohnerverpflegung an sich zu nehmen, war der Klägerin zumindest vom Hörensagen bekannt.

Die Klägerin bestreitet, dass der Leiter der Beklagten überhaupt zu einer Kündigung berechtigt gewesen ist, jedenfalls habe sie die Kündigung unverzüglich mangels Vollmachtvorlage zurückgewiesen. Die Kündigung sei bereits deswegen unwirksam. Zudem liege jedenfalls kein Grund für eine fristlose Kündigung vor, weil die Klägerin Hunger gehabt habe und kurz nach Beendigung eine dienstliche Fortbildung habe besuchen müssen. Zudem seien die Maultaschen für den Arbeitgeber wertlos gewesen.

Demgegenüber weist die Beklagte darauf hin, dass es sich um einen Diebstahl gehandelt und die Klägerin sich die Kosten für ein Personalessen erspart habe. Der Wert der gestohlenen Sache spiele keine Rolle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und damit begründet, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht auch der Diebstahl geringwertiger Sachen an sich einen Grund zur fristlosen Kündigung darstellt.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre Kündigungsschutzklage weiter.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Kammern Freiburg („Maultaschenfall“- 9 Sa 75/09 )

[Quelle: PM des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27.02.2010]

§ 626 BGB (Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund)
1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Die Kammer des Landesarbeitsgerichts hat den Parteien einen Vorschlag unterbreitet, der vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis einvernehmlich erst am 31. Dezember 2009 – was der Frist für eine ordentliche Kündigung entspricht – geendet hat und die Klägerin zudem eine Abfindung in der üblichen Größenordnung (wie § 1a KSchG) erhält.

Für das Gericht war für diesen Vergleichsvorschlag maßgeblich, dass die Frage der Berechtigung der außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen des Diebstahls von Maultaschen nicht eindeutig war. Zwar ist der Diebstahl auch von geringwertigen Sachen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein Grund, der für eine fristlose Kündigung herangezogen werden kann. Der Wert der Sache spielt zunächst keine Rolle. Das Gesetz (§ 626 BGB) verlangt aber darüber hinaus, dass das Gericht die Umstände des konkreten Einzelfalls umfassend würdigt. Die Entscheidung über die Berechtigung einer fristlosen Kündigung ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls.

Im „Maultaschenfall“ gab es besondere Umstände, die trotz des unbestrittenen Diebstahls der Maultaschen durch die Klägerin eine fristlose Kündigung nicht ohne weiteres gerechtfertigt erscheinen lassen. Neben der langen Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter der Klägerin war das die Tatsache, dass bei der beklagten Arbeitgeberin das übrig gebliebene Essen – auch die gestohlenen Maultaschen – als Abfall entsorgt wird, zu beachten. Der beklagten Arbeitgeberin ist durch den Diebstahl kein messbarer Schaden entstanden. Das ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04) ein Umstand, der in der Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Das bedeutet nicht, dass ein solches Verhalten erlaubt ist. Es ist aber nicht „automatisch“ ein Grund für eine fristlose Kündigung.

[Quelle: PM des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 30.03.2010]