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Kündigung einer bei der evangelischen Kirche angestellten Kindergärtnerin wegen Mitgliedschaft in anderer Religionsgemeinschaft gerechtfertigt

eingetragen von Thilo Schwirtz am Februar 11th, 2011

In dem Kammerurteil vom 03.02.2011 im Fall Siebenhaar gegen Deutschland (Beschwerde-Nr. 18136/02), stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig fest, dass keine Verletzung von Artikel 9 (Recht auf Gedanken- Gewissens- und Religionsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlag. Der Fall betraf die Beschwerde einer bei einer evangelischen Kirchengemeinde angestellten Kindergärtnerin über ihre fristlose Kündigung wegen ihrer aktiven Mitgliedschaft in einer anderen Religionsgemeinschaft.

Zusammenfassung des Sachverhalts

Die Beschwerdeführerin, Frau S., ist deutsche Staatsangehörige. Sie ist Katholikin und arbeitete von Mai 1997 an zunächst als Erzieherin in einer Kindertagesstätte einer evangelischen Gemeinde und später in der Leitung des Kindergartens einer weiteren evangelischen Gemeinde in Pforzheim. Ihr Arbeitsvertrag sah vor, dass auf das Arbeitsverhältnis die Arbeitsrechtsregelungen für Mitarbeiter der evangelischen Landeskirche anwendbar seien. Diese enthalten unter anderem eine Bestimmung, die den Mitarbeiter zu Loyalität gegenüber der evangelischen Kirche verpflichtet und eine Mitgliedschaft oder Mitarbeit in Organisationen untersagt, deren Grundauffassung oder Tätigkeit im Widerspruch zum Auftrag der Kirche stehen.

Die Kirche wurde im Dezember 1998 anonym über die Mitgliedschaft Frau S.  in einer anderen Religionsgemeinschaft, der „Universalen Kirche / Bruderschaft der Menschheit“, und über die Tatsache informiert, dass sie für diese Gemeinschaft Einführungskurse in deren Lehre anbot. Nachdem Frau S. zunächst zu der Angelegenheit befragt worden war, informierte die Kirche sie mit Zustimmung der Mitarbeitervertretung über ihre fristlose Kündigung mit Wirkung zum 1. Januar 1999.

Das Arbeitsgericht Pforzheim wies die Beschwerde Frau S. gegen ihre Kündigung im Februar 1999 zurück, da sie die aus ihrem Arbeitsvertrag resultierende Loyalitätspflicht gegenüber der evangelischen Kirche verletzt habe. Nach Auffassung des Gerichts habe dieser Verstoß einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dargestellt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gab der Beschwerde Frau S. teilweise statt, indem es befand, dass der Verstoß gegen ihre Loyalitätspflicht keine fristlose Kündigung gerechtfertigt habe. Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil auf und wies die Beschwerde zurück. Es verwies dabei insbesondere auf die Tatsache, dass Frau S. nicht nur Einführungskurse in die Lehre der „Universalen Kirche“ angeboten habe, sondern auch als Kontaktperson auf Anmeldeformularen für „Grundkurse für höhreres geistiges Lernen“ angegeben sei. Die evangelische Kirche habe daher berechtigterweise davon ausgehen können, dass diese Aktivitäten die Arbeit Frau S. im Kindergarten beeinträchtigen und die Glaubwürdigkeit der Kirche in Frage stellen würden. Zudem müsse die relativ kurze Betriebszugehörigkeit Frau S. berücksichtigt werden. Am 7. März 2002 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde Frau S. nicht zur Entscheidung an.

Die Arbeitsgerichte beriefen sich auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84) zur Wirksamkeit von Kündigungen kirchlicher Mitarbeiter wegen der Verletzung von Loyalitätspflichten. Kirchliche Arbeitgeber hätten demnach das Recht, Arbeitsverhältnisse eigenständig zu regeln, Arbeitsgerichte seien allerdings an die religiösen und moralischen Maßstäbe der Kirchen nur insoweit gebunden, als diese nicht mit den Grundsätzen der Rechtsordnung in Konflikt stünde.

Beschwerde und Verfahren

Frau S. beklagte sich über ihre fristlose Kündigung und berief sich dabei insbesondere auf Artikel 9.

Die Beschwerde wurde am 29. April 2002 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Die evangelische Landeskirche von Baden sowie die Evangelische Kirche in Deutschland erhielten die Erlaubnis, als Drittparteien am Verfahren teilzunehmen und gaben schriftliche Stellungnahmen ab.

Entscheidung des Gerichtshofs

Artikel 9

Der Gerichtshof hatte darüber zu befinden, ob die von den deutschen Arbeitsgerichten vorgenommene Abwägung zwischen dem Recht Frau S. auf Religionsfreiheit gemäß Artikel 9 einerseits und den Konventionsrechten der evangelischen Kirche andererseits Frau S. einen ausreichenden Kündigungsschutz gewährt hatte. Der Gerichtshof unterstrich, dass die Eigenständigkeit von Religionsgemeinschaften gegen unzulässige staatliche Einmischung nach Artikel 9 in Verbindung mit Artikel 11 (Vereinigungsfreiheit) geschützt ist.

Mit seinen Arbeitsgerichten und einem für die Überprüfung von deren Entscheidungen zuständigen Verfassungsgericht erfüllt Deutschland im Grundsatz die positive Verpflichtung des Staates gegenüber Klägern in arbeitsrechtlichen Streitfällen.

Frau S. hatte vor einem Arbeitsgericht geklagt, das dazu befugt war, über die Wirksamkeit ihrer Kündigung nach staatlichem Arbeitsrecht unter Berücksichtigung des kirchlichen Arbeitsrechtes zu entscheiden. Das Bundesarbeitsgericht war zu der Auffassung gelangt, dass sich ihr Arbeitgeber im Anbetracht ihres aktiven Engagements für die „Universale Kirche“ nicht habe darauf verlassen können, dass sie seine Ideale respektieren würde.

Die deutschen Arbeitsgerichte hatten alle wesentlichen Gesichtspunkte des Falls berücksichtigt und eine sorgfältige Abwägung der Interessen vorgenommen. Nach Auffassung der Gerichte kam die Kündigung einer notwendigen Maßnahme gleich, um die Glaubwürdigkeit der Kirche zu wahren, ein Interesse, das schwerer gewogen habe als Frau S. Interesse, ihre Stelle zu behalten. Die Gerichte hatten ferner die relativ kurze Betriebszugehörigkeit Frau S. berücksichtigt. Die Tatsache, dass die deutschen Gerichte den Interessen der evangelischen Kirche nach sorgfältiger Abwägung ein größeres Gewicht eingeräumt hatten als denen Frau S., steht nicht an sich in Konflikt mit der Konvention.

Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass keine Verletzung von Artikel 9 vorlag.

[Quelle: PM des  Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 03.02.2011]