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Keine Benachteiligung bei nicht vergleichbarer Bewerbersituation

eingetragen von Thilo Schwirtz am August 20th, 2010
Die unmittelbare Benachteiligung wegen eines vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpönten Merkmals muss in vergleichbarer Situation geschehen. Ist der „Beschäftigte“ erst Bewerber, so muss seine Bewerbung mit der anderer Bewerber vergleichbar sein. Dies ist nach dem vom Arbeitgeber entwickelten Anforderungsprofil zu beurteilen, wenn dieses nach der allgemeinen Verkehrsanschauung plausibel erscheint.

Der Beklagte ist Teil einer evangelischen Landeskirche und suchte für eine auf elf Monate befristete Projektstelle „Schulung von Multiplikatorinnen/-en im Bereich der beruflichen Integration von erwachsenen Migrantinnen/-en“ eine Fachkraft mit abgeschlossenem Studium der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik sowie Erfahrungen in der Projektarbeit und Kompetenzen in der projektspezifischen Thematik. Die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche wurde verlangt. Die Klägerin ist türkischer Herkunft und Muslimin. Sie hat eine Ausbildung zur Reisekauffrau absolviert und danach Erfahrungen in Integrationsprojekten für Menschen mit Migrationshintergrund gesammelt. Über eine Hochschulausbildung verfügt sie nicht. Nach Eingang ihrer Bewerbung sprach eine Mitarbeiterin des Beklagten die Klägerin auf Religions- und Kirchenzugehörigkeit an. Schließlich stellte der Beklagte eine in Indien geborene Bewerberin ein, die ein Hochschuldiplom im Fach Sozialwissenschaften vorweisen konnte, und sagte der Klägerin ab. Diese verlangte eine Entschädigung wegen unmittelbarer Benachteiligung aufgrund der Religion und mittelbarer Benachteiligung wegen ihrer ethnischen Herkunft.

Wie schon vor dem Landesarbeitsgericht hatte die Klage auch beim Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Der Achte Senat hatte nicht zu prüfen, ob die Klägerin unmittelbar wegen der Religion oder mittelbar wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt worden ist. Denn bei ihrer Bewerbung befand sich die Klägerin nicht in „vergleichbarer Situation“ zu der schließlich vom Beklagten eingestellten Bewerberin. Die Klägerin verfügt anders als diese nicht über ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Dies hatte der Beklagte mit nicht zu beanstandenden Gründen zur Voraussetzung für eine Einstellung gemacht. Bei einem Schulungsprojekt für Multiplikatoren in der Sozialarbeit entspricht es der Verkehrsanschauung, eine Hochschulausbildung zu verlangen. Der Beklagte hat sich bei seiner Besetzungsentscheidung auch nicht von dieser Anforderung gelöst.

[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 19.08.2010]

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. August 2010 – 8 AZR 466/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 29. Oktober 2008 – 3 Sa 15/08 –

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche der Klägerin, weil sie bei der Einstellung wegen der Religion und der ethnischen Herkunft benachteiligt worden sei. Es wird die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit christliche Kirchen von Stellenbewerbern die Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft verlangen dürfen.

Die Klägerin ist Deutsche türkischer Herkunft und gehört keiner christlichen Kirche an. Sie hat eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau absolviert, besitzt aber weder die Hochschulreife noch ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Sie hat sich am 24. Dezember 2006 bei dem Beklagten, Teil der evangelischen Kirche, um die ausgeschriebene Stelle einer/eines Sozialpädagogin/en beworben. Nach der Stellenausschreibung sollte der Bewerber ua. über ein abgeschlossenes Studium der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik (oä.) verfügen. Auch die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche wurde vorausgesetzt. Die Tätigkeit sollte im Bereich der beruflichen Integration von erwachsenen Migrantinnen und Migranten stattfinden. In einem Anruf auf ihre Bewerbung wurde der Klägerin erklärt, dass der Eintritt in die Kirche unbedingte Voraussetzung für die Stelle sei. Die ausgeschriebene Stelle wurde an eine Bewerberin mit einem Hochschulabschluss als “Diplom-Sozialwissenschaftlerin” vergeben, deren bisheriges berufliches Leben stark auf die Themen “Sozialisation” und “Migration” ausgerichtet war.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von dem Beklagten eine angemessene Entschädigung gem. § 15 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Sie ist der Auffassung, sie sei unmittelbar wegen ihrer Religion und mittelbar wegen ihrer Herkunft benachteiligt worden. Der Beklagte meint, die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche stelle eine gerechtfertigte berufliche Anforderung dar. Die Frage der Kirchenmitgliedschaft habe aber im Auswahlverfahren für die ausgeschriebene Stelle keine Rolle gespielt; er habe von der Bewerbung der Klägerin bereits deshalb Abstand genommen, weil diese nicht über die geforderte Qualifikation eines abgeschlossenen Hochschulstudiums der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik verfügt habe. Der Vorwurf der unzulässigen Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft scheide von vornherein aus, da er sich weder im Rahmen der veröffentlichten Stellenanzeige noch später bei der Besetzungsentscheidung davon habe leiten lassen und letztlich die fragliche Stelle an eine gebürtige Inderin vergeben habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 3.900,00 Euro (drei Bruttomonatsgehälter) stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter.

LAG Hamburg, Urteil vom 29. Oktober 2008 – 3 Sa 15/08 –