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Interessante BAG-Ent­schei­dungen aus 2024

eingetragen von admin am Januar 2nd, 2025

1. Kürzung des Urlaubs in Elternzeit nur bei Ankündigung

Arbeitnehmende, die während der Elternzeit noch offene Urlaubsansprüche haben oder neue Ansprüche erwerben, können grundsätzlich von ihrem Arbeitgeber mit einer Kürzung dieser Ansprüche konfrontiert werden. Nach § 17 BEEG darf der Urlaub pro vollem Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel reduziert werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedoch klargestellt, dass diese Kürzung nicht automatisch erfolgt (Urteil vom 16.04.2024, Az. 9 AZR 165/23). Stattdessen ist eine ausdrückliche und rechtzeitige Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer erforderlich. Erfolgt diese Erklärung nicht vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses, ist eine Kürzung des Urlaubsanspruchs nicht mehr möglich. In einem Fall, in dem eine Arbeitnehmerin über Jahre in Elternzeit war, führte dies zu einer Abgeltung ihrer offenen Urlaubstage in Höhe von knapp 25.000 Euro nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

2. Arbeitgeber muss Kosten für Präsenzschulung übernehmen

Arbeitgeber sind verpflichtet, die Kosten für eine Präsenzschulung von Personalratsmitgliedern zu tragen, auch wenn ein Webinar zu dem Thema kostengünstiger wäre. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied zugunsten eines Personalrats einer Luftverkehrsgesellschaft aus Nordrhein-Westfalen, dass die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung zu übernehmen sind (BAG, Beschluss vom 07.02.2024, Az. 7 ABR 8/23). Während die Arbeitgeberin zunächst die Übernahme der Schulungskosten verweigerte, erkannte sie bereits in der Vorinstanz an, dass diese Kosten auch bei einer näher gelegenen Schulung angefallen wären. Vor dem BAG ging es daher noch um die Erstattung von 1.108,62 Euro für zwei neu gewählte Personalratsmitglieder. Das Gericht stellte klar, dass der Personalrat – analog zu einem Betriebsrat – bei der Auswahl von Schulungen einen Ermessensspielraum hat. Dieser umfasst auch die Entscheidung für ein Präsenzformat, selbst wenn dies durch zusätzliche Ausgaben wie Verpflegung und Unterkunft teurer ist als ein Webinar.

3. Beweiswert von Krankschreibungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit dieser Entscheidung die Anforderungen an den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen weiter präzisiert. Arbeitnehmer, die nach einer Kündigung wiederholt arbeitsunfähig gemeldet sind, riskieren den Verlust der Lohnfortzahlung, wenn Zweifel an der Echtheit der Krankschreibung entstehen. Eine Beeinträchtigung des Beweiswertes kann insbesondere dann vorliegen, wenn während der Kündigungsfrist mehrfach Krankmeldungen erfolgen und zugleich berufliche Tätigkeiten ausgeführt werden (BAG, Urteil vom 18.09.2024, Az. 5 AZR 29/24). Das BAG betonte jedoch, dass immer eine umfassende Betrachtung aller Umstände erforderlich ist und verwies den Fall an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurück. Bereits im Vorjahr hatte das BAG entschieden, dass eine passgenaue Krankschreibung bis zum Ende der Kündigungsfrist den Beweiswert erschüttern kann (Urteil vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 137/23). Diese Rechtsprechung wurde nun erweitert: Auch ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann ausreichen, um Zweifel an der Bescheinigung zu begründen.

4. Überstundenvergütung bei Teilzeitkräften

Teilzeitkräfte haben Anspruch auf Vergütung von Überstunden ab der ersten zusätzlichen Arbeitsstunde, sofern diese den vereinbarten Zeitumfang überschreiten (BAG, Urteil vom 05.12.2024, Az. 8 AZR 370/20). Eine Regelung, die eine Überstundenvergütung erst bei Erreichen der Arbeitszeit von Vollzeitkräften vorsieht, wurde als diskriminierend eingestuft. Im konkreten Fall betraf dies eine teilzeitbeschäftigte Pflegekraft, der ein Überstundenzuschlag von 30 Prozent erst nach Erreichen der Vollzeit-Arbeitszeit gewährt werden sollte. Das BAG entschied, dass ein solches Vorgehen insbesondere Frauen, die häufiger in Teilzeit arbeiten, benachteiligt. Dies stelle einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Die Entscheidung war wenig überraschend, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuvor bereits eine ähnliche Rechtsauffassung vertreten hatte (EuGH, Urteil vom 29.07.2024, Az. C-184/22).

5. Annahmeverzug: Reduzierung des Lohnanspruchs bei unterlassener Jobsuche

Während eines Kündigungsschutzprozesses sind Arbeitnehmer verpflichtet, ernsthaft nach einer anderen Beschäftigung zu suchen, um den Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu sichern. Unterlassen sie dies absichtlich, kann ihr Anspruch auf den Lohn gemindert werden, selbst wenn sie im Kündigungsschutzverfahren erfolgreich sind. Dies gilt auch, wenn ein Arbeitnehmer sich zwar arbeitsuchend meldet, jedoch der Arbeitsagentur mitteilt, keine Jobangebote annehmen zu wollen oder potenzielle Arbeitgeber über den laufenden Kündigungsschutzprozess informiert (BAG, Urteil vom 07.02.2024, Az. 5 AZR 177/23). Im verhandelten Fall hatte der Kläger durch seine Aussagen gegenüber der Agentur für Arbeit bewirkt, dass ihm über ein Jahr lang keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet wurden. Dadurch verhinderte er, dass ihm überhaupt eine zumutbare Beschäftigung angeboten werden konnte. Das BAG hat den Fall jedoch an die Vorinstanz zurückverwiesen, da noch nicht alle relevanten Umstände geklärt waren.

6. Entschädigung für Überwachung durch Detektei: Eingriff in Persönlichkeitsrechte

Die Überwachung eines Arbeitnehmers durch eine Detektei wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit stellt eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der DSGVO dar. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Grundsatzurteil (Urteil vom 25.07.2024, Az. 8 AZR 225/23). Im konkreten Fall hatte ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter durch eine Detektei überwachen lassen, wobei der Gesundheitszustand des Betroffenen dokumentiert wurde. Das BAG bewertete diese Maßnahme als erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre des Arbeitnehmers. Bereits das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hatte dem Mitarbeiter deshalb eine Entschädigung zugesprochen (Urteil vom 26.04.2023, Az. 12 Sa 18/23). Der Arbeitnehmer erhielt auf Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO 1.500 Euro Schmerzensgeld.

7. Vergütungspflicht für Körperreinigungszeiten

Das Duschen nach der Arbeit kann als vergütungspflichtige Arbeitszeit gelten, wenn es durch die Art der Tätigkeit zwingend erforderlich wird. Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall eines Containermechanikers zugunsten des Arbeitnehmers entschieden (Urteil vom 23.04.2024, Az. 5 AZR 212/23). Voraussetzung für eine solche Vergütung ist, dass die Verschmutzung durch die Arbeitsbedingungen so erheblich ist, dass dem Arbeitnehmer der Heimweg ohne vorherige Reinigung nicht zuzumuten ist. Mit diesem Urteil setzt das BAG klare Maßstäbe für die Anerkennung von Körperreinigungszeiten als Bestandteil der Arbeitszeit.

8. Betriebsratswahl: Weniger Bewerber als Sitze möglich

Auch wenn sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer für das Amt des Betriebsrats bewerben, als Sitze zu besetzen sind, kann ein Betriebsrat mit reduzierter Mitgliederzahl gebildet werden. Dies beeinträchtigt nicht die Gültigkeit der Wahl, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt hat (Beschluss vom 24.04.2024, Az. 7 ABR 26/23). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist vorgesehen, dass in Betrieben mit mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, ein Betriebsrat gewählt werden kann. Daraus ergibt sich, dass ein Betriebsrat auch dann errichtet werden soll, wenn die Zahl der Bewerber die reguläre Sitzanzahl nicht erreicht. In solchen Fällen ist die Betriebsratsgröße schrittweise gemäß § 9 BetrVG zu reduzieren, bis die Anzahl der Kandidaten ausreicht, um ein Gremium mit einer ungeraden Mitgliederzahl zu bilden. Dieses Vorgehen entspricht dem gesetzgeberischen Ziel, die Bildung eines Betriebsrats auch unter erschwerten Bedingungen zu ermöglichen.

9. Altersfreizeit auch für Teilzeitbeschäftigte: BAG erklärt Ausschluss für unzulässig

Eine tarifliche Regelung, die älteren Beschäftigten ab 58 Jahren eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden bei vollem Lohnausgleich – sogenannte Altersfreizeit – gewährt, darf Teilzeitbeschäftigte nicht ausschließen. Diese Vergünstigung soll das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer berücksichtigen. Ein genereller Ausschluss von Teilzeitkräften mit weniger als 38 Wochenstunden von dieser Regelung ist jedoch unzulässig, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 09.07.2024, Az. 9 AZR 296/20). Die Richter:innen stellten klar, dass eine solche tarifliche Regelung gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, da sie Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die Altersfreizeit muss demnach auch Arbeitnehmern mit reduzierter Arbeitszeit gewährt werden.

10. Schadensersatz bei unterlassener Zielvereinbarung: Arbeitgeber in der Pflicht

Wenn ein Arbeitgeber vertraglich dazu verpflichtet ist, mit einem Arbeitnehmer für eine Zielperiode verbindliche Ziele zu vereinbaren, die Grundlage für eine Bonus- oder Tantiemezahlung sind, muss er mit dem Arbeitnehmer über diese Ziele verhandeln. Dem Arbeitnehmer muss dabei die Möglichkeit gegeben werden, aktiv Einfluss auf die Zielsetzung zu nehmen. Eine einseitige Festlegung der Ziele durch den Arbeitgeber verstößt gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten und wird als schuldhafte Pflichtverletzung gewertet. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber zum Schadensersatz in Höhe des entgangenen Bonus verpflichtet (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.07.2024, Az. 10 AZR 171/24).

11. Keine Entschädigung für männlichen Bewerber: BAG erkennt Rechtsmissbrauch

Ein Mann, der sich mehrfach auf Stellenausschreibungen für Bürokauffrauen oder Sekretärinnen beworben und nach Ablehnungen Entschädigungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gefordert hatte, scheiterte mit seiner Klage vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). In der Verhandlung äußerte der Senatsvorsitzende deutliche Kritik an diskriminierenden Stellenausschreibungen und betonte die Bedeutung des AGG: „Uns liegt dieses Gesetz sehr am Herzen.“ Dennoch wies das Gericht die Klage ab und folgte der Einschätzung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm, dass ein Rechtsmissbrauch vorliege (Urteil vom 19.09.2024, Az. 8 AZR 21/24). Grundsätzlich stellt die Ausschreibung einer Stelle ausschließlich für ein Geschlecht einen Verstoß gegen das AGG dar, da sie den Zugang zur Berufstätigkeit diskriminierungsfrei sicherstellen soll. Betroffene können gemäß § 15 Abs. 2 AGG Entschädigungen und Schadensersatz verlangen. Dieser Anspruch entfällt jedoch, wenn die Bewerbung allein mit dem Ziel erfolgt, eine Entschädigung zu erstreiten. Im vorliegenden Fall sah das BAG aufgrund der Vielzahl der vom Kläger eingereichten Entschädigungsforderungen einen solchen Rechtsmissbrauch gegeben.

12. Corona und Entgeltfortzahlung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Arbeitgebende ihren Beschäftigten den Lohn auch dann weiterzahlen müssen, wenn diese aufgrund einer Quarantäne-Anordnung nach einem positiven Corona-Test nicht arbeiten können – selbst bei einem symptomlosen Verlauf (Urteil vom 20.03.2024, Az. 5 AZR 234/23). Im verhandelten Fall hatte ein Arbeitnehmer nach einer Corona-Infektion zunächst einige Tage Krankheitssymptome gezeigt, für die unstrittig die Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) galten. Nachdem die Symptome abgeklungen waren, verweigerte der Arbeitgeber jedoch die weitere Lohnfortzahlung für die verbleibende Quarantänezeit, da keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorlag. Das BAG stellte klar, dass auch eine symptomlose Corona-Infektion als Krankheit im Sinne des EntgFG einzustufen ist und der Arbeitnehmer daher Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat. Dieses Urteil schafft Rechtssicherheit für vergleichbare Fälle aus der Pandemiezeit.