Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen.
Die Insolvenzordnung sieht in den §§ 129 ff. InsO die Anfechtung von Rechtshandlungen durch den Insolvenzverwalter vor, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger benachteiligen, soweit nicht das redliche Vertrauen darauf, dass vor der Insolvenzeröffnung erfolgte Verfügungen des Schuldners Bestand haben, für schutzwürdig angesehen wird. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO regelt ua., dass eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, anfechtbar ist, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte.
Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist ua. eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Bargeschäfte sind nach § 142 InsO nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Was durch anfechtbare Handlung erlangt ist, muss gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Soweit die Gehaltszahlungen der Schuldnerin im Mai 2007 der Vergütung der vom Kläger in den vorausgehenden drei Monaten erbrachten Arbeitsleistungen dienten, unterlagen sie als Bargeschäft iSv. § 142 InsO nicht der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO, weil noch der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang mit der Gegenleistung bestand. Im Übrigen war die Annahme des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, der Beklagte habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen eine positive Kenntnis des Klägers von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bei den Gehaltszahlungen im Mai 2007 abgeleitet werden könnte. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht auch die Kenntnis des Klägers von Umständen verneint, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Die Kenntnis des Klägers von der zeitlichen Dauer und Höhe der eigenen Gehaltsrückstände sowie von dem Umstand, dass die Schuldnerin gegenüber einem Großteil der anderen Arbeitnehmer seit mehreren Monaten mit Vergütungszahlungen in Rückstand geraten war, war dafür unzureichend. Sie ließ noch kein eindeutiges Urteil über die Liquiditäts- und Zahlungslage der Schuldnerin zu. Bei seiner Würdigung durfte das Landesarbeitsgericht berücksichtigen, dass der Kläger keinen Einblick in die Finanzbuchhaltung der Schuldnerin hatte, dass er keine Leitungsaufgaben im kaufmännischen Bereich wahrgenommen hatte und dass der Schuldnerin Material noch auf Rechnung geliefert worden war. Ebenso wenig war es revisionsrechtlich zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht auch die Kenntnis des Klägers von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO) verneint hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 – 6 AZR 262/10 –
Vorinstanz: LAG Nürnberg, Urteil vom 31. März 2010 – 3 Sa 379/09 –
Der Sechste Senat hat am selben Tag zwei Revisionen eines Insolvenzverwalters zurückgewiesen, der von Arbeitnehmern aufgrund Insolvenzanfechtung die Rückzahlung von Arbeitsvergütung verlangt hatte und mit seinen Klagen vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg hatte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 – 6 AZR 731/10 –
Vorinstanz: Thüringer LAG, Urteil vom 9. September 2010 – 6 Sa 16/10 –
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 – 6 AZR 732/10 –
Vorinstanz: Thüringer LAG, Urteil vom 9. September 2010 – 6 Sa 243/10 –
In einem weiteren Fall ist die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden, weil dieses keine Feststellungen zur Kenntnis des Arbeitnehmers von der drohenden Zahlungsunfähigkeit getroffen hatte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 – 6 AZR 585/10 –
Vorinstanz: Thüringer LAG, Urteil vom 4. Juni 2010 – 8 Sa 32/09 –
[Quelle: PM des Bundesarbeitsgericht vom 06.10.2011]
§ 130 InsO Kongruente Deckung1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,1. wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder2. wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.Dies gilt nicht, soweit die Rechtshandlung auf einer Sicherungsvereinbarung beruht, die die Verpflichtung enthält, eine Finanzsicherheit, eine andere oder eine zusätzliche Finanzsicherheit im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes zu bestellen, um das in der Sicherungsvereinbarung festgelegte Verhältnis zwischen dem Wert der gesicherten Verbindlichkeiten und dem Wert der geleisteten Sicherheiten wiederherzustellen (Margensicherheit).2) Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.3) Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
§ 133 InsO (Vorsätzliche Benachteiligung)1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.2) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
§ 142 InsO (Bargeschäft)
Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, ist nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 gegeben sind.