Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes – Kleinbetriebsklausel
Nach § 23 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes genießen Arbeitnehmer in Betrieben, in denen in der Regel nur zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind, keinen Kündigungsschutz. Die darin liegende Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern größerer und kleinerer Betriebe verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Sie ist sachlich gerechtfertigt, weil Kleinbetriebe typischerweise durch enge persönliche Zusammenarbeit, geringere Finanzausstattung und einen Mangel an Verwaltungskapazität geprägt sind. Auch wenn ein Unternehmer mehrere Kleinbetriebe unterhält, werden die Zahlen der dort Beschäftigten nicht automatisch zusammengerechnet, wenn es sich tatsächlich um organisatorisch hinreichend verselbständigte Einheiten und deshalb um selbständige Betriebe handelt. Es ist aber sicherzustellen, dass damit aus dem Geltungsbereich des Gesetzes nicht auch Einheiten größerer Unternehmen herausfallen, auf die die typischen Merkmale des Kleinbetriebs (enge persönliche Zusammenarbeit etc.) nicht zutreffen. Das wiederum ist nicht stets schon dann der Fall, wenn dem Betrieb auch nur eines dieser typischen Merkmale fehlt. Maßgebend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.
Die Beklagte beschäftigte an ihrem Sitz in Leipzig mindestens acht, an ihrem Standort Hamburg sechs Arbeitnehmer. Im Januar 2006 setzte sie in Hamburg einen vor Ort mitarbeitenden Betriebsleiter ein, den sie – wie sie behauptet hat – bevollmächtigte, dort Einstellungen und Entlassungen vorzunehmen. Der Kläger war in der Betriebsstätte Hamburg seit 1990 als Hausmeister und Haustechniker tätig. Ein vergleichbarer Arbeitnehmer wurde im Jahr 2003 eingestellt, ist deutlich jünger als der Kläger und – anders als dieser – keiner Person zum Unterhalt verpflichtet. Im März 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unter Berufung auf betriebliche Gründe. Die Vorinstanzen haben der Klage wegen unzureichender Sozialauswahl stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Kündigungsschutzgesetz für anwendbar gehalten, weil die Kapitalausstattung der Beklagten nicht gering gewesen sei und ihr Geschäftsführer in Hamburg nicht mitgearbeitet habe.
Die Revision der Beklagten war vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist es im Streitfall nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, beide Betriebstätten auch dann als einheitlichen Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne anzusehen, wenn sie organisatorisch selbständig sind. Ob dies zutrifft, bedarf weiterer Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht.
[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2010]
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2008 – 7 Sa 41/07 –
§ 23 KSchG (Geltungsbereich)
1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Sie gelten nicht für Seeschiffe und ihre Besatzung.