Europäische Schulen und deutsche Gerichtsbarkeit
Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu der Frage ersucht, ob das Unionsrecht der deutschen Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten zwischen den Europäischen Schulen und den dort angestellten Lehrbeauftragten entgegensteht. Für den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften wurden 1957 die sog. Europäischen Schulen eingerichtet. Deren derzeitige Rechtsgrundlage ist die am 21. Juni 1994 von den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaften und den Europäischen Gemeinschaften geschlossene Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (SES).
An den Schulen unterrichten zum einen Lehrer, die von den Mitgliedstaaten abgeordnet werden. Daneben werden Lehrbeauftragte beschäftigt, die der Direktor der jeweiligen Schule anstellt. Nach dem vom „Obersten Rat“ – einem gemeinsamen Organ aller Schulen – erlassenen Statut sind mit Lehrbeauftragten „jährliche Arbeitsverträge“ abzuschließen. Art. 27 Abs. 2 SES sieht für bestimmte Streitigkeiten die ausschließliche Zuständigkeit einer „Beschwerdekammer“ vor. Nach Art. 27 Abs. 7 SES unterliegen „andere Streitigkeiten, bei denen die Schulen Partei sind“, der Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Nach § 20 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Für Streitigkeiten, die nach Art. 27 Abs. 2 SES in die Zuständigkeit der Beschwerdekammer fallen, ist daher die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben.
Die SES ist Teil des europäischen Unionsrechts. Für dessen Auslegung ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig. Der Kläger ist seit September 1998 auf der Grundlage jährlich befristeter Arbeitsverträge als Lehrbeauftragter an der beklagten Europäischen Schule in München beschäftigt. Mit seiner zum Arbeitsgericht München erhobenen Klage hat er die mit ihm für die Schuljahre 2009/2010 und 2010/2011 vereinbarten Befristungen angegriffen. Die beklagte Europäische Schule hält die Klage für unzulässig, da nach Art. 27 Abs. 2 SES für die Entscheidung der Streitigkeit ausschließlich die Beschwerdekammer zuständig sei. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage für zulässig erachtet, weil Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Befristungen, die zwischen Lehrbeauftragten und dem Direktor einer Schule vereinbart seien, von Art. 27 Abs. 2 SES nicht erfasst würden.
Der Siebte Senat hat Art. 27 Abs. 2 SES als auslegungsbedürftig erachtet. Er hat daher nach Art. 267 AEUV den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zur Auslegung von Art. 27 Abs. 2 SES ersucht. Er will erfahren, ob Lehrbeauftragte zu den von Art. 27 Abs. 2 SES erfassten Personen gehören oder ob sie – wie das Verwaltungs- und Dienstpersonal – von der Anwendung der Regelung ausgenommen sind. Ferner fragt der Senat, ob die mit dem Direktor einer Schule geschlossenen Vereinbarungen unter Art. 27 Abs. 2 SES fallen.
[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 24.04.2013]
Bundesarbeitsgericht Beschluss vom 24. April 2013 – 7 AZR 930/11 (A) –
Landesarbeitsgericht München Urteil vom 9. November 2011 – 11 Sa 432/11 –