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Die Mitgliedstaaten dürfen den Zugang zum Beruf des Notars nicht ihren eigenen Staatsangehörigen vorbehalten.

eingetragen von Thilo Schwirtz am Mai 25th, 2011

Mit den Tätigkeiten, die die Notare in den betreffenden Mitgliedstaaten derzeit ausüben, werden zwar im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt, doch sind sie nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des EG-Vertrags verbunden. Die Kommission hat gegen sechs Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Luxemburg und Österreich) Vertragsverletzungsklagen erhoben, weil sie den Zugang zum Beruf des Notars ihren Staatsangehörigen vorbehalten, was nach Ansicht der Kommission eine durch den EG-Vertrag verbotene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellt. Die Kommission rügt ferner, dass Portugal und die genannten Staaten mit Ausnahme Frankreichs die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht auf Notare anwenden.

In diesen Rechtssachen geht es in erster Linie darum, ob die beruflichen Tätigkeiten der Notare mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des EG-Vertrags verbunden sind.

Dieser sieht nämlich vor, dass auf Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung finden. Die von diesen Rechtssachen betroffenen Mitgliedstaaten erkennen zwar an, dass der Notar seine Dienste in ihrem Hoheitsgebiet im Allgemeinen freiberuflich erbringt, machen aber geltend, er sei ein an der Ausübung öffentlicher Gewalt beteiligter öffentlicher Amtsträger, dessen Tätigkeit von den Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit ausgenommen sei.

Im ersten Teil seiner Urteile vom 24.05.2011 führt der Gerichtshof aus, dass die Klagen der Kommission allein das nach den einschlägigen nationalen Regelungen für den Zugang zum Beruf des Notars aufgestellte Staatsangehörigkeitserfordernis betreffen und nicht die Organisation des Notariats als solche.

Um zu klären, ob die Tätigkeiten der Notare mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des EG-Vertrags verbunden sind, analysiert der Gerichtshof sodann die Zuständigkeiten der Notare in den betreffenden Mitgliedstaaten und weist zunächst darauf hin, dass nur Tätigkeiten, die unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, von der Anwendung des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit ausgenommen werden können.

Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass die Hauptaufgabe des Notars als eines öffentlichen Amtsträgers in der Beurkundung von Rechtsgeschäften besteht. Durch sein – je nach Art des zu beurkundenden Akts obligatorisches oder fakultatives – Tätigwerden stellt der Notar das Vorliegen aller gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen des Akts sowie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten fest.

Die notarielle Urkunde besitzt zudem erhöhte Beweiskraft und ist vollstreckbar. Der Gerichtshof hebt jedoch hervor, dass Gegenstand einer Beurkundung Akte oder Verträge sind, denen sich die Parteien freiwillig unterworfen haben. Die Parteien entscheiden nämlich, innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen, selbst über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten und können die Bestimmungen, denen sie sich unterwerfen wollen, frei wählen, wenn sie dem Notar einen Akt oder einen Vertrag zur Beurkundung unterbreiten. Das Tätigwerden des Notars setzt daher voraus, dass zuvor eine Einigung oder Willensübereinstimmung der Parteien zustande gekommen ist. Außerdem darf der Notar den von ihm zu beurkundenden Vertrag nicht ohne vorherige Einholung der Zustimmung der Parteien einseitig ändern. Die Beurkundungstätigkeit der Notare ist somit nicht mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden. Dass bei bestimmten Akten oder Verträgen eine Beurkundung zwingende Voraussetzung ihrer Wirksamkeit ist, stellt dieses Ergebnis nicht in Frage, denn es ist nicht ungewöhnlich, dass die Gültigkeit verschiedener Akte Formerfordernissen oder zwingenden Validierungsverfahren unterliegt.

Dass mit der Tätigkeit der Notare ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel, und zwar die Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen, verfolgt wird, genügt für sich genommen nicht, um diese Tätigkeit als unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden einzustufen. Die im Rahmen verschiedener reglementierter Berufe ausgeübten Tätigkeiten schließen nämlich häufig die Pflicht der sie ausübenden Personen ein, ein solches Ziel zu verfolgen, ohne dass diese Tätigkeiten deshalb mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

Zur Beweiskraft notarieller Urkunden stellt der Gerichtshof fest, dass sie sich aus den Beweisregeln der Mitgliedstaaten ergibt und daher keine unmittelbare Auswirkung auf die Einstufung der mit der Erstellung dieser Urkunden verbundene notarielle Tätigkeit hat. In Bezug auf die Vollstreckbarkeit solcher Urkunden führt der Gerichtshof aus, dass sie auf dem Willen der Parteien beruht, die gerade deshalb einen Notar aufsuchen, damit er eine solche Urkunde erstellt und ihr Vollstreckbarkeit verleiht, nachdem er ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung geprüft hat.

Neben dieser Beurkundungstätigkeit prüft der Gerichtshof die übrigen den Notaren in den betreffenden Mitgliedstaaten übertragenen Tätigkeiten – wie die Teilnahme an Immobiliarpfändungen oder das Tätigwerden in Nachlasssachen – und kommt zu dem Schluss, dass auch sie nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Die meisten dieser Tätigkeiten werden nämlich unter Aufsicht eines Gerichts oder im Einklang mit dem Willen der Klienten ausgeübt.

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass die Notare ihren Beruf in den Grenzen ihrer jeweiligen örtlichen Zuständigkeiten unter Wettbewerbsbedingungen ausüben, was für die Ausübung öffentlicher Gewalt untypisch ist. Überdies sind sie ihren Klienten gegenüber unmittelbar und persönlich verantwortlich für alle Schäden, die aus einem Fehlverhalten bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten resultieren, während für behördliches Fehlverhalten der Staat haftet.

Unter diesen Umständen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die notariellen Tätigkeiten nach ihrer gegenwärtigen Definition in den betreffenden Mitgliedstaaten nicht im Sinne von Art. 45 EG-Vertrag mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Folglich stellt das in der Regelung dieser Staaten aufgestellte Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum Notarberuf eine nach dem EG-Vertrag verbotene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.

Schließlich stellt der Gerichtshof im zweiten Teil seiner Urteile fest, dass angesichts der besonderen Umstände, die den Rechtsetzungsprozess begleiteten, in der Union eine Situation der Ungewissheit hinsichtlich der Existenz einer hinreichend klaren Verpflichtung3 für die Mitgliedstaaten bestand, die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in Bezug auf den Beruf des Notars umzusetzen. Aus diesem Grund weist der Gerichtshof die Rüge, mit der die Feststellung begehrt wird, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nachgekommen sind, zurück.

[Quelle: PM des Gerichtshof der Europäischen Union vom 24.05.2011 zu Urteile in den Rechtssachen C-47/08, C-50/08, C-51/08, C-53/08, C-54/08, C-61/08 und C-52/08]