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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 9.10.2012, 3 AZR 528/10

eingetragen von Thilo Schwirtz am April 2nd, 2013

Dienstordnungsangestellter – Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Grundsätzen – Anrechnung einer gesetzlichen Altersrente auf die bereits wegen vorgezogener Inanspruchnahme mit Vollendung des 63. Lebensjahres gekürzten Versorgungsbezüge

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 15. April 2010 – 4 Sa 850/09 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die wegen vorgezogener Inanspruchnahme gekürzten Versorgungsbezüge des Klägers anzurechnen.
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Der am 30. März 1943 geborene Kläger war als Dienstordnungsangestellter bei der beklagten Berufsgenossenschaft beschäftigt. Er bezog zuletzt eine Vergütung nach der Besoldungsgruppe A 12 / Stufe 12 BBesG und wurde auf seinen Antrag mit Vollendung des 63. Lebensjahres zum 31. März 2006 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Seit dem 1. April 2006 bezieht der Kläger von der Beklagten Versorgungsbezüge. Diese beliefen sich zunächst auf monatlich 2.532,50 Euro brutto. Wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme der Versorgungsbezüge ab der Vollendung des 63. Lebensjahres nahm die Beklagte bei der Berechnung der Versorgungsbezüge von der erreichbaren Höchstpension nach § 55 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG von 2.728,99 Euro brutto einen Abschlag iHv. 7,2 vH nach § 14 Abs. 3 BeamtVG, dh. iHv. 196,49 Euro brutto monatlich vor.
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Seit dem 1. April 2008 erhält der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung eine monatliche Altersrente iHv. 179,09 Euro brutto. Diese beruht auf Anwartschaften, die der Kläger in der Zeit vor seiner Anstellung als Dienstordnungsangestellter der Beklagten sowie durch die Pflege seiner Ehefrau seit Mai 2001 erworben hat. Um diesen Betrag kürzte die Beklagte die bis dahin gewährten Versorgungsbezüge des Klägers. Seit dem 1. April 2008 zahlt sie an den Kläger Versorgungsbezüge iHv. 2.353,41 Euro brutto monatlich.
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Mit seiner am 9. Juni 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf seine Versorgungsbezüge gewandt.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mit der von der Beklagten ab dem 1. April 2008 vorgenommenen Kürzung der Versorgungsbezüge werde unzulässigerweise in rechtmäßig erworbene Versorgungsansprüche eingegriffen. Die um den Versorgungsabschlag von 7,2 vH wegen des vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand gekürzte Pension iHv. 2.532,50 Euro brutto ergebe zusammen mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung iHv. 179,09 Euro brutto einen Betrag von 2.711,59 Euro brutto. Damit werde die dem Kläger nach 41,59 Dienstjahren zustehende Höchstversorgung von 2.728,99 Euro brutto nicht überschritten. Durch die Anrechnung der gesetzlichen Rente auf die bereits wegen der vorzeitigen Zurruhesetzung gekürzten Versorgungsbezüge werde die Höchstversorgung zweimal gemindert. Dies verstoße gegen Art. 33 Abs. 5, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. April 2008 einen weiteren Betrag von 179,09 Euro brutto monatlich zu bezahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die dem Kläger ab dem 1. April 2008 zustehenden Versorgungsbezüge nach § 55 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG zutreffend ermittelt. Die Höchstgrenze für die Versorgungsbezüge des Klägers – einschließlich der von ihm bezogenen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – ist das aufgrund der vorgezogenen Inanspruchnahme der Versorgungsbezüge nach § 14 Abs. 3 BeamtVG verminderte Ruhegehalt. § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG ist verfassungsgemäß.
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I. Die Versorgung des Klägers als vormaligem Dienstordnungsangestellten der beklagten Berufsgenossenschaft bestimmt sich nach dem Beamtenversorgungsgesetz.
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II. Die Beklagte hat die dem Kläger ab dem 1. April 2008 zustehenden Versorgungsbezüge zutreffend berechnet. Sie hat von der dem Kläger aufgrund seiner Dienstzeit von 41,59 Dienstjahren zustehenden Höchstversorgung iHv. 2.728,99 Euro brutto monatlich wegen der vorzeitigen Zurruhesetzung mit Vollendung des 63. Lebensjahres nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG einen Abschlag von 7,2 vH monatlich vorgenommen. Dagegen wendet sich der Kläger nicht. Auf den sich daraus ergebenden Betrag von 2.532,50 Euro brutto hat die Beklagte zu Recht die dem Kläger seit dem 1. April 2008 gewährte Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet.
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1. Nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG werden Versorgungsbezüge neben Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur bis zum Erreichen bestimmter Höchstgrenzen gezahlt. Ist das Ruhegehalt nach § 14 Abs. 3 BeamtVG gemindert, ist das für die Höchstgrenze maßgebende Ruhegehalt nach § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG in sinngemäßer Anwendung des § 14 Abs. 3 BeamtVG festzusetzen. Bei einem vorzeitig in den Ruhestand getretenen Beamten ist die Höchstgrenze iSv. § 55 Abs. 2 BeamtVG daher das um die Abschläge nach § 14 Abs. 3 BeamtVG verminderte Ruhegehalt.
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2. Das Ruhegehalt des Klägers darf daher einschließlich der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung 2.532,50 Euro brutto monatlich nicht überschreiten. Da der Kläger seit dem 1. April 2008 aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente iHv. 179,09 Euro brutto monatlich bezieht, hat die Beklagte dem Kläger zu Recht seit diesem Zeitpunkt lediglich ein Ruhegehalt iHv. 2.353,41 Euro brutto monatlich gezahlt.
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III. Die Regelung in § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG ist verfassungsgemäß. Sie verstößt nicht gegen Art. 14 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG.
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1. Die Anrechnung der gesetzlichen Rente auf die Versorgungsbezüge verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rentenansprüche des Klägers werden durch die Anrechnung auf seine Versorgungsbezüge nicht entwertet oder eingeschränkt. Ihm wird die gesetzliche Rente in vollem Umfang ausbezahlt. Der Bezug der gesetzlichen Rente führt lediglich zur Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers. Die Versorgungsbezüge werden jedoch gesondert durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützt, der als lex specialis Art. 14 Abs. 1 GG vorgeht (BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 76, 256).
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2. Das in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltene Alimentationsprinzip wird durch die Anrechnungsregelung in § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG nicht verletzt. Zwar muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Beamtenversorgung das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende Alimentationsprinzip beachten. Er hat aber dabei einen weiten Gestaltungsspielraum. Die angemessene lebenslange Alimentation des Beamten und seiner Familie ist auch unter Berücksichtigung der Anrechnungs- bzw. Ruhensvorschriften des § 55 BeamtVG gewährleistet (BAG 21. Oktober 2003 – 3 AZR 83/03 – zu I 3 d der Gründe, ZTR 2004, 386 unter Verweis auf BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C der Gründe, BVerfGE 76, 256; BAG 19. Dezember 2000 – 3 AZR 511/99 – zu III 1 b der Gründe).
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a) Die Beamtenversorgung sichert dem Versorgungsberechtigten eine Alimentation ausgehend von dem zuletzt wahrgenommenen Amt und der entsprechenden Besoldungsgruppe. Das Hinzutreten gesetzlicher Rentenansprüche kann zu einer – gemessen am Versorgungsziel – überhöhten Gesamtversorgung führen. Darauf beruht die Ruhensregelung in § 55 BeamtVG. Der Dienstherr kann sich von seiner Alimentationspflicht dadurch entlasten, dass er den Versorgungsberechtigten auf Einkünfte aus einer anderen öffentlichen Kasse verweist, sofern diese ebenfalls der Existenzsicherung des Versorgungsberechtigten und seiner Familie dienen. Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind solche Einkünfte (BAG 22. Februar 2000 – 3 AZR 39/99 – zu B IV 1 b der Gründe, AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 3; BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C II 4 der Gründe, BVerfGE 76, 256). Durch die Anrechnung der gesetzlichen Rente auf die Versorgungsbezüge wird bei sog. Systemwechslern, die aus einem rentenversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnis in den Beamtenstatus wechseln, eine „Doppelversorgung”, die die höchstmögliche Versorgung eines „Nur-Beamten” übersteigen würde, vermieden. Darüber hinaus werden Doppelzahlungen aus öffentlichen Kassen verhindert und die Einsparung von Haushaltsmitteln bezweckt. Diese Zwecke werden dadurch erreicht, dass die Gesamtleistung von Rentenversicherung und Beamtenversorgung durch einen Höchstbetrag, nämlich die höchst erreichbare Pension, „gekappt” wird. Versorgungsbezüge ruhen, soweit beide Leistungen zusammen diese Kappungsgrenze überschreiten (BAG 18. September 2007 – 3 AZR 560/05 – Rn. 22 f., NZA-RR 2008, 320).
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b) Diesen Zwecken dient nicht nur die Höchstgrenze nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BeamtVG, sondern auch die Regelung in § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG. Die Bestimmung verhindert, dass die Kürzung des Versorgungsbezugs nach § 14 Abs. 3 BeamtVG wegen vorgezogener Zurruhesetzung bei Anwendung der Ruhensregelung nach § 55 Abs. 1 BeamtVG unterlaufen wird. Durch die Regelung in § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG bleibt die durch § 14 Abs. 3 BeamtVG angeordnete Kürzung der Versorgungsbezüge für die Gesamtdauer der Versorgung wirksam (vgl. etwa Plog/Wiedow/Groepper/Tegethoff BBG Stand August 2012 § 55 BeamtVG Rn. 189). Ohne § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG hätte die Kürzungsregelung des § 14 Abs. 3 BeamtVG keine Bedeutung, wenn dem Versorgungsempfänger nach § 55 Abs. 1 BeamtVG anrechenbare Versorgungsleistungen zustehen. § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG ist erforderlich, um den Regelungsplan des Gesetzgebers vollständig umzusetzen. Das zu den tragenden Grundsätzen des Art. 33 Abs. 5 GG gehörende Leistungsprinzip verlangt, dass die Länge der aktiven Dienstzeit sich in der Höhe der Versorgungsbezüge niederschlägt (BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C II 8 a der Gründe, BVerfGE 76, 256). § 55 BeamtVG will ausschließen, dass die Gesamtversorgung, die der Renten beziehende Versorgungsempfänger aufgrund seiner gesamten Lebensarbeitszeit erhält, höher ist als die Versorgung, die einem vergleichbaren „Nur-Beamten“ aufgrund der gleichen Lebensarbeitszeit gezahlt wird (BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C III 3 b der Gründe, aaO). Daher ist es gerechtfertigt, dass die Höchstgrenze in § 55 Abs. 2 BeamtVG eine Kürzung der Versorgungsbezüge wegen vorgezogener Inanspruchnahme nach § 14 Abs. 3 BeamtVG berücksichtigt. Die Lebensarbeitszeit ist bei einer vorgezogenen Inanspruchnahme der Versorgungsbezüge sowohl bei „Systemwechslern“ als auch „Nur-Beamten“ gleich. Durch die Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die nach § 14 Abs. 3 BeamtVG gekürzten Versorgungsbezüge wird verhindert, dass im Falle der vorzeitigen Zurruhesetzung ein „Systemwechsler“ eine höhere Gesamtversorgung erhält als ein vergleichbarer „Nur-Beamter“. Beide erhalten eine Versorgung aus öffentlichen Kassen in derselben Höhe.
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3. § 55 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, unter stetiger Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei genügt im Regelungsbereich des Besoldungs- und Versorgungsrechts ein sachlicher Grund für eine gesetzliche Differenzierung; der Gesetzgeber muss nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste aller möglichen Lösungen gewählt haben (BAG 21. Oktober 2003 – 3 AZR 83/03 – zu I 3 d der Gründe, ZTR 2004, 386; BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – zu C III 1 der Gründe, BVerfGE 76, 256).
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b) Danach verstößt die Differenzierung zwischen Beamten, die Versorgungsbezüge vorgezogen in Anspruch nehmen, und Beamten, die bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Dienst verbleiben, bei der Festlegung der Höchstgrenzen für die Versorgungsbezüge entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen den Gleichheitssatz. Die beiden Personengruppen befinden sich nicht in einer vergleichbaren Lage. Der vor Erreichen der Regelaltersgrenze zur Ruhe gesetzte Beamte hat nicht bis zur Regelaltersgrenze seinen Dienst erfüllt, sondern ist vorzeitig ausgeschieden. Im Übrigen stellt die Betriebstreue bis zur Regelaltersgrenze und die damit verbundene längere Betriebs- bzw. Diensttreue einen hinreichenden sachlichen Differenzierungsgrund für die unterschiedlichen Höchstgrenzen dar.
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Daran ändert auch der Hinweis der Revision auf den Nachteil des „Systemwechslers“, der unter dem System der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht – anders als ein Beamter – einen rund 20prozentigen Abzug vom Bruttoentgelt hinnehmen muss, nichts. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeitnehmer einerseits und der Beamtenversorgung andererseits handelt es sich um verschiedene Versorgungssysteme, die nicht miteinander vergleichbar sind. Die Beitragspflicht zur Sozialversicherung während des Bezugs von Arbeitsentgelt gebietet es nicht, dem „Systemwechsler“ eine höhere Gesamtversorgung aus öffentlichen Kassen zu gewähren als dem „Nur-Beamten“.
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Gräfl
Schlewing
Spinner
Wischnath
Möller