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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 3.7.2013, 4 AZR 259/12

eingetragen von Thilo Schwirtz am Mai 2nd, 2014

Eingruppierung einer Kassiererin im Einzelhandel – Begriff des „SB-Ladens“

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 26. Januar 2012 – 4 Sa 126/11 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
2
Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), ist seit dem 1. Juli 2002 bei der Beklagten in deren Einrichtungshaus in Kiel mit einer monatlichen Arbeitszeit von 59 Stunden als Kassiererin beschäftigt. Das Einrichtungshaus erstreckt sich über zwei Etagen. Im Obergeschoss befindet sich die sog. Möbelausstellung mit einer Fläche von 5.636 qm, im Erdgeschoss die sog. Markthalle (5.257 qm) und die „Selbstbedienungshalle“ (4.194 qm). Der Ein- und Ausgangsbereich des Einrichtungshauses hat eine Größe von 1.596 qm; weitere Flächen entfallen auf die Warenannahme (2.681 qm), den Bürobereich (1.538 qm), die Technik- und Sozialräume (4.037 qm), das Restaurant (1.765 qm) sowie den Bereich Talon (2.574 qm).
3
Die in der Möbelausstellung im Obergeschoss ausgestellten Artikel sind mit verschiedenfarbigen Anhängern ausgestattet. Gelbe Anhänger weisen den Kunden darauf hin, sich an einen Mitarbeiter zu wenden. Dieser steht für sämtliche Fragen zum Produkt und zu den begleitenden Serviceleistungen zur Verfügung. Will der Kunde einen dieser Artikel erwerben, stellt der Mitarbeiter eine sog. Mitnahmebuchung für ihn aus. Demgegenüber weisen rote Anhänger an den Artikeln auf die jeweiligen Regalreihen und Fächer in der Selbstbedienungshalle im Erdgeschoss hin, aus denen der Kunde den Artikel selbständig entnehmen kann. In der Markthalle befinden sich Accessoires und andere Artikel, die sich ebenfalls in Selbstbedienung vom Kunden entnehmen lassen. An der im Erdgeschoss befindlichen Kasse bezahlt der Kunde die von ihm ausgewählten Artikel sowie die Mitnahmebuchungen. Nach deren Bezahlung wird im Lager des Einrichtungshauses die Ware kommissioniert und dem Kunden an der Warenausgabe übergeben.
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Am 1. September 2010 beschäftigte die Beklagte in dem Einrichtungshaus insgesamt 167 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (einschließlich Auszubildende), ua. 57 im Verkauf, 14 im Bereich Kommunikation und Einrichtung, 15 an der Kasse, 3 an der Kassenadministration, 18 im Kundenservice (Warenausgabe, Umtausch, „Backoffice“, „Smaland“, Eingangsinfo), 30 in der Logistik, 14 in der Buchhaltung und 16 in der Personalabteilung.
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Die Klägerin ist ausschließlich als Kassiererin an einer der Ausgangskassen im Erdgeschoss tätig. Sie wird von der Beklagten, die Mitglied des tarifschließenden Verbandes ist, nach der Gehaltsgruppe 2 des Entgelttarifvertrags für den Einzelhandel im Bundesland Schleswig-Holstein (vom 1. Mai 2009 – ETV) vergütet.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Entgelt nach der Gehaltsgruppe 3 ETV zu und hat mit ihrer Klage die entsprechende Feststellung sowie die – rechnerisch unstreitigen – Entgeltdifferenzen für die Monate Mai bis August 2010 geltend gemacht. Das Einrichtungshaus der Beklagten sei ein „SB-Laden“ iSd. Tätigkeitsbeispiels der Gehaltsgruppe 3 ETV. Die Beklagte habe ihr Geschäft nach der Verkaufsmethode der Selbstbedienung organisiert. Dies belegten auch ihre Öffentlichkeitsarbeit und internen Schulungsunterlagen. Die Erschwernisse des Kassenpersonals in SB-Läden mit mehreren Ausgangskassen liege darin, dass es, jedenfalls bei normalem bis starkem Kundenandrang, ständig unter relativ hoher Konzentrationsleistung Waren bewegen, Preise erfassen und eingeben und auf Vollständigkeit der von dem Kunden herausgesuchten Waren achten müsse.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 865,84 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 13. Oktober 2010 zu zahlen,

2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem 1. Oktober 2010 ein Entgelt nach der Gehaltsgruppe 3 des Entgelttarifvertrags für den Einzelhandel im Bundesland Schleswig-Holstein vom 1. Mai 2009 zu zahlen.
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Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des „SB-Laden“ im Tätigkeitsbeispiel der Gehaltsgruppe 3 des ETV lediglich als Synonym für den Begriff „Supermarkt“ gebraucht hätten. Für ihren Betrieb treffe dies nicht zu. Ihr Einrichtungshaus sei auch kein Selbstbedienungsgeschäft. Sie halte zum großen Teil Waren vor, die von den Kunden nicht selbst entnommen und zur Kasse gebracht würden. Ein wesentliches Element ihres Verkaufskonzepts bestehe in der Beratung der Kunden und der Präsenz von Verkaufspersonal im gesamten Warenhaus. Sie investiere in Aus- und Weiterbildung der beratenden Arbeitnehmer hohe Summen, die in einem SB-Laden nicht anfielen. Auch die Kommissionierung der Waren, die von ihr angebotenen Lieferungen nach Hause, der Kundenservice, die Kinderbetreuung und das Restaurant zeigten deutlich, dass ihr Angebot weit über das eines SB-Ladens hinausgehe.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Die als Eingruppierungsfeststellungsklage nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch in der Privatwirtschaft zulässige Klage (zu den Anforderungen BAG 9. April 2008 – 4 AZR 117/07 – Rn. 13 mwN) konnte mit der vom Landesarbeitsgericht gewählten Begründung nicht abgewiesen werden. Ob das Einrichtungshaus der Beklagten ein SB-Laden im tariflichen Sinne ist, kann der Senat aufgrund der bisher unzureichenden tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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I. Für die Eingruppierung und das Entgelt der Klägerin sind kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien folgende tarifliche Bestimmungen des ETV maßgebend:

㤠3

Gehaltsgruppen

Gehaltsgruppe 1

Tätigkeiten für Arbeitnehmer, die über keine entsprechende Berufsausbildung verfügen.

Gehaltsgruppe 2

Arbeiten, die im Rahmen bestehender Anweisungen selbständig erledigt werden und eine entsprechende Berufsausbildung erfordern.

Beispiele:

Verkäufer/in, Kassierer/in, Schauwerbegestalter/in, Angestellte am Packtisch mit Waren- und Preiskontrolle, Fachkräfte für Kontrollarbeiten im Lager, Warenein-/Ausgang.

Sachbearbeitung in der Buchhaltung, im Einkauf, in der Lohnbuchhaltung, der Rechnungsprüfung, der Registratur und den Bereichen Kalkulation, Statistik, Kreditwesen, Auftragsabwicklung, Empfang und Telefongesprächsvermittlung.

Gehaltsgruppe 3

Gehobene Tätigkeiten, die erweiterte Fachkenntnisse und Fähigkeiten erfordern.

Beispiel:

Erste Kraft, Abteilungsaufsicht, Empfangspersonal, Leiter/in von unselbständig geführten Filialen, Schaugewerbegestalter/in in gehobener Funktion, Kassierer/in, deren Tätigkeit über die Merkmale der Gehaltsgruppe 2 hinausgeht (z.B. Tätigkeiten an Sammelkassen, Ausgangskassen in Supermärkten bzw. SB-Läden mit regelmäßig mehr als einer Ausgangskasse), …“
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II. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend vorrangig das Tätigkeitsbeispiel der Gehaltsgruppe 3 ETV überprüft (zur vorrangigen Prüfung von tariflichen Tätigkeitsbeispielen vgl. BAG 22. September 2010 – 4 AZR 33/09 – Rn. 23 mwN). Es hat sodann jedoch mit rechtsfehlerhafter Begründung angenommen, das Einrichtungshaus der Beklagten sei kein „SB-Laden“ iSd. Gehaltsgruppe 3 ETV.
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1. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst rechtsfehlerfrei festgestellt, dass das Einrichtungshaus der Beklagten kein „Supermarkt“ im Sinne des Tätigkeitsbeispiels ist.
14
a) Da die tariflichen Bestimmungen des ETV keine eigenständige Definition des Begriffs „Supermarkt“ enthalten und die Tarifvertragsparteien hier auch keinen in der Rechtsterminologie feststehenden Begriff in seiner allgemeinen Bedeutung benutzt haben, ist bei einer branchenspezifischen Verwendung eines Begriffs nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass sie den Begriff so angewendet wissen wollen, wie er im Handelsverkehr und Wirtschaftsleben verstanden wird und den Anschauungen der beteiligten Berufskreise und dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entspricht (vgl. nur BAG 5. September 2012 – 4 AZR 584/10 – Rn. 14 f. mwN).
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b) Im Wirtschaftsleben wird unter einem Supermarkt ein Einzelhandelsbetrieb verstanden, der auf einer Verkaufsfläche von mindestens 400 qm Nahrungs- und Genussmittel einschließlich Frischwaren (Obst, Gemüse, Südfrüchte, Fleisch uä.) und ergänzend „problemlose Waren“ anderer Branchen vorwiegend in Selbstbedienung anbietet. Unter dem Begriff „problemlose Waren“ werden allgemein bekannte Güter des Massenbedarfs verstanden, bei deren Auswahl und Erwerb der Verbraucher im Allgemeinen keine Beratung erwartet oder wünscht, und die für den Absatz im Wege der Selbstbedienung geeignet sind. Ein Supermarkt ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der sog. Non-Food-Bereich nicht mehr als 25 vH der Verkaufsfläche in Anspruch nimmt (BAG 5. September 2012 – 4 AZR 584/10 – Rn. 16 f. mwN).
16
c) Danach handelt es sich bei dem Einrichtungshaus der Beklagten nicht um einen Supermarkt. Die Beklagte bietet allenfalls marginal Lebensmittel an. Hierauf hat das Landesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen. Die Revision greift diese Auffassung auch nicht weiter an.
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2. Die weitere Begründung des Landesarbeitsgerichts, das Einrichtungshaus der Beklagten sei auch kein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne, ist hingegen rechtsfehlerhaft.
18
a) Das Berufungsgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass auch im Wirtschaftsleben der Begriff „SB-Laden“ nicht eindeutig verstanden wird. „SB“ stehe für „Selbstbedienung“ und sei deshalb nicht von vornherein auf eine bestimmte Branche begrenzt. Auch der Begriff des „Ladens“ sei nicht eindeutig bestimmt. Aus dem Wortlaut des Tätigkeitsbeispiels ergebe sich jedoch, dass mit „SB-Laden“ allein ein Synonym für den Begriff „Supermarkt“ gemeint sei. Dafür spreche insbesondere die Verknüpfung der Begriffe durch das Wort „bzw.“.
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b) Diese Auslegung des Tarifvertrags ist fehlerhaft.
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Differenzieren Tarifvertragsparteien zwischen verschiedenen Begriffen, ist in der Regel davon auszugehen, dass sie mit den unterschiedlichen Begriffen auch voneinander abweichende Tarifinhalte zum Ausdruck bringen wollen. Dass die Tarifvertragsparteien vorliegend mit der Formulierung, „Supermärkten bzw. SB-Läden“ eigentlich „Supermarkt bzw. Supermarkt“ gemeint hätten und der Begriff „SB-Läden“ keinerlei eigenständige Bedeutung haben sollte, ist deshalb nicht anzunehmen.
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Aus der Verwendung der unterschiedlichen Begriffe ergibt sich vielmehr, dass die Tarifvertragsparteien die Kassentätigkeit iSd. Gehaltsgruppe 3 ETV mit der Verwendung des im Wirtschaftsleben eindeutig definierten Begriffs des „Supermarkts“ nicht nur auf Einzelhandelsgeschäfte dieser Branche beschränken wollten. Mit dem sachlich weiter gefassten Tarifbegriff „bzw. SB-Läden“ – verbunden mit der Einschränkung „mit regelmäßig mehr als einer Ausgangskasse“ – sollte erkennbar eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieses Tätigkeitsmerkmals über die Lebensmittelbranche hinaus erreicht werden. Damit sollten vor allem Geschäfte mit Selbstbedienung ab einer bestimmten Größe erfasst werden, ohne dass die – im Wirtschaftsleben präziser definierten – Voraussetzungen eines „SB-Warenhauses“ (s. dazu Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution Katalog E – Definitionen zu Handel und Distribution 5. Aufl. Stichwort „Selbstbedienungswarenhaus“ (SB-Warenhaus); Gabler Wirtschaftslexikon 16. Aufl. Stichwort „Selbstbedienungswarenhaus“) vorliegen müssen.
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III. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung. Aufgrund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen steht die zutreffende Eingruppierung der Klägerin noch nicht fest.
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1. Eine Verkaufsstelle im Einzelhandel ist dann ein „SB-Laden“, wenn sie von der Vertriebsform der Selbstbedienung geprägt ist.
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a) Es ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff „SB-Laden“ in seiner allgemeinen wirtschaftlichen Bedeutung verstehen wollten. Zwar ist dieser Begriff im Wirtschaftsleben nicht präzise bestimmt. Die Verwendung der Abkürzungsbuchstaben „SB“ verbunden mit dem Begriff „Laden“ richtet sich jedoch eindeutig auf die Beschreibung einer Verkaufsstelle des Einzelhandels, die – zunächst – allein dadurch gekennzeichnet ist, dass sie in der Vertriebsform der Selbstbedienung organisiert ist. So hat auch der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts eine tarifliche Zuschlagsregelung für Kassierer/-innen, die „überwiegend an SB-Kassen“ tätig sind, dahin ausgelegt, dass sich die Kasse in einer Verkaufsstelle befindet, „die als Selbstbedienungsladen, Selbstbedienungsmarkt oder Selbstbedienungswarenhaus zu bezeichnen ist“, ohne dass die Verkaufsstelle einer bestimmten Branche zugeordnet sein müsse (BAG 17. März 2004 – 10 AZR 294/03 – zu II 2 a bb der Gründe).
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b) Der Selbstbedienung als Verkaufsmethode im Einzelhandel steht die traditionelle Fremdbedienung gegenüber, bei der das Verkaufspersonal die Waren präsentiert, den Kunden berät und weitere Tätigkeiten wie Rechnungsstellung, Verpackung der Ware und Inkasso übernimmt. Ferner sind bei der Selbstbedienung als Verkaufsmethode kombinierte Vertriebs- und Zwischenformen verbreitet. So können Teile des Sortiments (zB Frischwaren) in Fremdbedienung, andere in Selbstbedienung angeboten werden. Im typischen Selbstbedienungsladen (SB) herrscht die Bedienungsform der Selbstauswahl oder -vorwahl vor. Beim Vorwahlsystem kann sich der Kunde selbst bedienen, kann aber auch je nach Wunsch verschiedene Dienste des Verkaufspersonals in Anspruch nehmen (fakultative Bedienung). Der Kunde wählt aus dem offen präsentierten Angebot meist wenig erklärungsbedürftige Waren eigenständig aus und prüft diese. Das Verkaufspersonal steht gegebenenfalls zur Beratung, sonst nur für den Verkaufsabschluss zur Verfügung. Danach bringt der Kunde die gewählten und von ihm im Wege der Selbstbedienung entnommenen Waren zur Kasse, an der die Warenausgangskontrolle und die Bezahlung vorgenommen werden (vgl. BAG 17. März 2004 – 10 AZR 294/03 – zu II 2 b aa der Gründe mwN).
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c) Werden Waren sowohl in Selbst- als auch in Fremdbedienung angeboten, kommt es für die Erfüllung des Merkmals „SB-Laden“ darauf an, welche der Verkaufsformen die für die Verkaufsstelle prägende ist. Ein „Fremdbedienungsladen“ wird nicht dadurch zu einem SB-Laden, dass neben der normalen Bedienung des Kunden vereinzelte Artikelgruppen in Selbstbedienung zum Verkauf stehen. Ebenso wird ein „Supermarkt“ nicht dadurch zu einem „Fremdbedienungsladen“, dass lediglich einzelne Waren an einer Frischetheke angeboten werden. Auch die lediglich partielle Selbstbedienung wird noch vom Begriff der Selbstbedienung erfasst (BAG 17. März 2004 – 10 AZR 294/03 – zu II 2 b bb der Gründe). Es kommt letztlich darauf an, inwieweit der Warenauswahl- und Kaufvorgang durch die Mitwirkung eines beratenden, bedienenden und in sonstiger Weise für den Kunden tätigen Mitarbeiters geprägt ist oder durch die „Selbstbedienungs“-Handlungen des Kunden.
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d) Ob danach ein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne vorliegt, ist anhand der Eigenart der Verkaufsstelle im konkreten Einzelfall zu beurteilen.
28
aa) Ohne nähere Aussagekraft sind dabei regelmäßig – entgegen dem Hinweisbeschluss des Landesarbeitsgerichts – die jeweiligen Personalkosten in den einzelnen Bereichen des Betriebs. Zweck der Verkaufsmethode „Selbstbedienung“ ist es gerade, die Personalkosten zu verringern. Einem geringeren Personalkostenanteil kann deshalb im SB-Bereich eines Betriebs grundsätzlich keine Aussagekraft für die Entscheidung zukommen, welche Vertriebsform den jeweiligen Betrieb prägt. Ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben andere angebotene Dienstleistungen, die für den unmittelbaren Warenverkauf nicht maßgebend sind. Hierzu zählen bspw. zusätzlich unterhaltene Restaurationsabteilungen oder weitere Leistungen, wie etwa eine angebotene Kinderbetreuung, ein entgeltlicher Transport von Waren zum Wohnsitz des Kunden oder der Auf- und Einbau von Geräten und Möbeln.
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bb) Demgegenüber kommt einerseits der Anzahl der Artikel, die der eigenständigen Auswahl und Entnahme durch den Kunden zur Verfügung stehen, und andererseits der Anzahl der Artikel, die eine – ggf. ergänzende – Beratung oder Bedienung regelmäßig erforderlich machen, eine indizielle Wirkung für die abgrenzende Beurteilung zu. Auch das Verhältnis der tatsächlich verkauften Artikel aus den jeweiligen Warengruppen kann dabei zu berücksichtigen sein. Schließlich kann die Verkaufs- bzw. Angebotsfläche, die auf die in Selbstbedienung angebotenen Waren einerseits und auf die mit Beratung und Bedienung angebotenen Waren andererseits entfallen, mit herangezogen werden, wenn eine solche Zuordnung möglich ist.
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2. Nach den vorstehenden Grundsätzen kann der Senat nicht darüber befinden, ob das Einrichtungshaus der Beklagten in Kiel ein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne ist. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen.
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a) Für die Eigenschaft des Betriebs der Beklagten als „SB-Laden“ spricht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, dass die Artikel, die sich in der Markthalle (ua. Küchenartikel, Lampen, Teppiche, Pflanzen, Elektroartikel, Stoffe, Bettwäsche uvm.) befinden, in Selbstbedienung erworben werden. Dies trifft auch für die bereits so bezeichnete Selbstbedienungshalle zu, in der die in der „Möbelausstellung“ zur Ansicht zusammengebauten Möbel in verpackter und transportfähiger Form aus den Regalen geholt und auf dem Einkaufswagen zur Kasse gebracht werden.
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Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Beklagten, das sowohl in den für den Kunden bestimmten Handzetteln zum Ausdruck kommt als auch aus deren Schulungsunterlagen für die Arbeitnehmer, in denen es ua. heißt:

„Grundlagen für die Vermarktung eines Produkts in der Möbelausstellung

Wie zuvor erwähnt basiert das mechanische IKEA Verkaufssystem auf einem einfachen, aber grundlegenden Prinzip: alle Produkte müssen so vorbereitet sein, dass die Besucher ihren Kauf selbst durchführen können. Die gesamte Vermarktung im IKEA EH beginnt mit dem einzelnen Produkt. Es ist sehr wichtig, dass jedes Produkt so vorbereitet ist, dass es sich von allein verkauft. …“
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Nicht unmittelbar in Selbstbedienung können lediglich die Artikel in der Möbelausstellung erworben werden, die mit einem „gelben Anhänger“ gekennzeichnet sind. Sie werden auf Anforderung speziell im Lager kommissioniert und an den Kunden ausgehändigt.
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b) Der Beklagten ist aber Gelegenheit zu geben, unter Berücksichtigung der genannten Kriterien, die vom Hinweisbeschluss des Landesarbeitsgerichts abweichen, ergänzend vorzutragen.
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3. Der Rechtsstreit ist auch nicht etwa deshalb zur Entscheidung reif, weil der von der Klägerin begehrten Eingruppierung aus anderen Gründen stattzugeben wäre. Die Klägerin hat nicht behauptet, dass sie die allgemeinen Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Gehaltsgruppe 3 ETV erfüllt und über die gegenüber einer einschlägigen Berufsausbildung erforderlichen erweiterten Fachkenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Dies ist auch sonst in keiner Weise ersichtlich. Sonstige erschwerende Umstände bei der Tätigkeit werden von den Tarifvertragsparteien im Rahmen der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale und den Tätigkeitsbeispielen honoriert. Diese Bewertung liegt grundsätzlich im Rahmen der tariflichen Regelungsfreiheit. Eine Überprüfung der Angemessenheit tariflicher Tätigkeitsbewertungen scheidet im Hinblick auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie aus (zB BAG 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – zu II 2 c dd der Gründe).

Eylert

Treber

Creutzfeldt

Hannig

H. Klotz