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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 21.11.2013, 6 AZR 979/11

eingetragen von Thilo Schwirtz am Mai 2nd, 2014

Freigabe gemäß § 35 Abs 2 InsO – Passivlegitimation

Leitsätze

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung von dem Insolvenzverwalter an den Schuldner zurück.
Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Dezember 2011 – 2 Sa 97/11 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Der Kläger war seit dem 6. Mai 2010 bei Herrn M (im Folgenden: Schuldner) als Kraftfahrer angestellt. Der Schuldner betrieb als Einzelunternehmer einen Kurier- und Kleintransportdienst. Mit Schreiben vom 13. Mai 2010, dem Kläger zugegangen am 15. Mai 2010, kündigte der Schuldner das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos wegen Wegfalls eines Auftraggebers und bevorstehender Insolvenz.
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Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20. Mai 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte erklärte gegenüber dem Schuldner noch mit Schreiben vom selben Tag die Freigabe der von diesem ausgeübten selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Das Schreiben ging dem Schuldner am 21. Mai 2010 zu. Mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2010 informierte der Beklagte das Insolvenzgericht über die erfolgte Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Am 25. Mai 2010 wurde die Freigabe öffentlich bekannt gemacht.
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Mit seiner Klageschrift vom 1. Juni 2010, welche noch am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter.
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Nach seiner Ansicht ist der Beklagte passiv legitimiert. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dieser kraft Amtes in die Arbeitgeberstellung eingerückt. Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO habe daran nichts geändert. Die außerordentliche Kündigung vom 13. Mai 2010 sei mangels eines wichtigen Grundes unwirksam. Da eine Probezeit nicht vereinbart wurde, habe das Arbeitsverhältnis nur ordentlich zum 15. Juni 2010 gekündigt werden können.
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Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die außerordentliche Kündigung des Insolvenzschuldners vom 13. Mai 2010 nicht fristlos, sondern fristgemäß zum 15. Juni 2010 aufgelöst worden ist.
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Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag mit seiner fehlenden Passivlegitimation begründet. Durch die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO gehöre der Geschäftsbetrieb des Schuldners mit allen dazugehörigen Dauerschuldverhältnissen nicht mehr zur Insolvenzmasse. Dementsprechend habe der Schuldner mit der Freigabe auch die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers zurückerhalten. Folglich hätte die Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner gerichtet werden müssen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht mangels Passivlegitimation des Beklagten abgewiesen.
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A. Die Klage ist zulässig. Die Frage der Passivlegitimation des Beklagten berührt allein die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (vgl. BAG 23. Juni 2004 – 10 AZR 495/03 – zu B I der Gründe, BAGE 111, 135).
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B. Die Klage ist unbegründet. Der beklagte Insolvenzverwalter ist nicht passiv legitimiert. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen der Freigabeerklärung des Beklagten nach § 35 Abs. 2 InsO bereits auf den Schuldner zurückgefallen.
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I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrensgeht nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Damit kann der Schuldner als Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus. Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber kraft Amtes bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG(vgl. GmS-OGB 27. September 2010 – GmS-OGB 1/09 – Rn. 18, BGHZ 187, 105). Ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Insolvenzverwalter bestellt, ist eine Kündigungsschutzklage folglich gegen den Insolvenzverwalter zu richten, und zwar auch dann, wenn die Kündigung noch vom Schuldner erklärt wurde (vgl. BAG 18. Oktober 2012 – 6 AZR 41/11 – Rn. 19; 21. September 2006 – 2 AZR 573/05 – Rn. 22).
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II. Eine Kündigungsschutzklage ist aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung an den Schuldner zurück.
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1. Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Erklärung ist dem Gericht gegenüber nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO anzuzeigen. Falls das Insolvenzgericht nicht die Unwirksamkeit der Erklärung anordnet (§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO), wird das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit durch eine Freigabeerklärung von der Insolvenzmasse gelöst. Der im Rahmen der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb gehört nicht zur Insolvenzmasse. Korrespondierend dazu wird die Masse von den Verbindlichkeiten freigestellt, die der Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit begründet (vgl. Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 99; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47c, 47h; Smid DZWIR 2008, 133). § 35 Abs. 2 InsO dient damit sowohl dem Interesse des Schuldners als auch dem Schutz der Masse. Das Gericht hat die Freigabeerklärung öffentlich bekannt zu machen (§ 35 Abs. 3 Satz 2 InsO).
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2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 35 Abs. 2 InsO nach seinem Sinn und Zweck dahin gehend auszulegen, dass die Freigabeerklärung auch Dauerschuldverhältnisse ohne die Notwendigkeit einer Kündigungserklärung erfasst (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 15 f., BGHZ 192, 322). Die Vorschrift solle dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstrecke sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, „einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse“ (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH 9. Juni 2011 – IX ZB 175/10 – Rn. 7). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betreffe demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks. 16/3227 S. 26 f.). Die Freigabe verwirkliche sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (BGH 18. April 2013 – IX ZR 165/12 – Rn. 21). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneide das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leite die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 19, BGHZ 192, 322). Die Veröffentlichung der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 24, aaO).
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3. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst auch Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bereits begründet waren. Eine gesonderte Kündigung der Arbeitsverhältnisse ist nicht erforderlich.
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a) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur auf die durch den Schuldner danach begründeten Vertragsverhältnisse bezieht. Auf vor der Freigabe begründete Vertragsverhältnisse sollen nach dieser Auffassung die §§ 103, 108 f. InsO anzuwenden sein (vgl. Berger ZInsO 2008, 1101; FK-InsO/Schumacher 6. Aufl. § 35 Rn. 20; Wischemeyer ZInsO 2009, 2121; Wischemeyer/Schur ZInsO 2007, 1240; Windel Anm. AP InsO § 35 Nr. 1 zu III 2 b). Den Vertragspartnern, dh. auch den Arbeitnehmern, dürfe die Haftung der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) nicht durch eine Freigabe entzogen werden (vgl. auch Windel RdA 2012, 366). Demnach müsse der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er Vertragserfüllung verlangt oder den Vertrag kündigt. Tetzlaff regt an, dass der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer mit der Freigabeerklärung auffordert, sich zu erklären, ob er für den Schuldner tätig bleiben oder Ansprüche gegen die Insolvenzmasse geltend machen will. Entscheide sich der Arbeitnehmer für Letzteres, müsse gekündigt werden (jurisPR-InsR 3/2011 Anm. 6; vgl. auch Hergenröder DZWIR 2013, 251).
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b) Diese Auffassungen berücksichtigen Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO nicht hinreichend.
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aa) Bei § 35 Abs. 2 InsO handelt es sich um eine Pauschalfreigabe (vgl. BAG 16. Mai 2013 – 6 AZR 556/11 – Rn. 51), die sich im Gegensatz zur „echten Freigabe“ von Massegegenständen auch auf zweiseitige Verträge bezieht und dabei nicht nach Typus und Inhalt der betroffenen Vertragsverhältnisse unterscheidet (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 und 3 InsO vgl. BAG 10. April 2008 – 6 AZR 368/07 – Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 – 6 AZR 110/08 – Rn. 25, BAGE 129, 257). Auch innerhalb der Dauerschuldverhältnisse sind daher keine Differenzierungen veranlasst, die sich aus der Anwendbarkeit unterschiedlicher Kündigungsfristen ergeben. Der Schuldner muss zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 f. InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und sich daraus ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden. Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 30, BGHZ 192, 322; zustimmend Bartels KTS 2012, 381; Pape/Pape ZInsO 2013, 685; vgl. bereits Ries ZInsO 2009, 2030).
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bb) Diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Wirkung der Freigabeerklärung ohne gesonderte Kündigung auch Arbeitsverhältnisse erfasst (so im Ergebnis auch Ahrens KSzW 2012, 303; Lindemann BB 2011, 2357; Ries ZInsO 2009, 2030; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47f; Stiller ZInsO 2010, 1374; Haarmeyer ZInsO 2007, 696; Nungeßer NZI 2012, 359; MünchKommInsO/Hefermehl § 55 Rn. 114; HambKomm/Lüdtke 3. Aufl. § 35 Rn. 262 f.; Nerlich/Römermann/Andres InsO Stand April 2008 § 35 Rn. 108 f.; Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72). Zudem ist der Schuldner zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit häufig auf den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen angewiesen. Müsste der Insolvenzverwalter diese zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, würden sich die Arbeitnehmer wegen der eingetretenen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit dem Schuldner ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Damit würde dem Schuldner eine unentbehrliche Betriebsgrundlage für die Fortführung seiner Tätigkeit entzogen (vgl. BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 26, BGHZ 192, 322; FK-InsO/Bornemann 7. Aufl. § 35 Rn. 13c; HambKomm/Lüdtke § 35 Rn. 263; Stiller ZInsO 2010, 1374, 1375). Das legislatorische Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen, könnte zudem nicht konsequent erreicht werden, wenn die Wirkung der Freigabe erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, dh. gegebenenfalls erst nach der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO, einträte (vgl. Lindemann BB 2011, 2357, 2360 mwN).
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cc) Auch der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Hinweis auf die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO (BT-Drucks. 16/3227 S. 17) vermag nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wirkung für die Masse zu begründen. Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 24, BGHZ 192, 322).
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c) Die Freigabeerklärung wirkt mit ihrem Zugang bei dem Schuldner ex nunc (BAG 16. Mai 2013 – 6 AZR 556/11 – Rn. 51). Ein Wirksamwerden der Freigabeerklärung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO ist auch nicht mit Blick auf berechtigte Arbeitnehmerinteressen geboten (so aber Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 101; Berscheid jurisPR-ArbR 14/2011 Anm. 6). § 113 InsO begründet kein schutzwürdiges Interesse der Arbeitnehmer bis zu einem Kündigungstermin vorrangig als Massegläubiger befriedigt zu werden. Mit § 113 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen von Alt-Arbeitsverträgen zugunsten der Insolvenzmasse verkürzt. Ein etwaiges Vertrauen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die hieraus folgende Lohnzahlungspflicht hat der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss dem Schuldner entgegengebracht, nicht dem Insolvenzverwalter. Mit Freigabe des Arbeitsverhältnisses stellt der Insolvenzverwalter den Zustand wieder her, der vor Insolvenzeröffnung bestand, da dem Schuldner nicht die Möglichkeit zu einer vorzeitigen Vertragsbeendigung nach § 113 InsO gegeben ist (Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72).
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III. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war der beklagte Insolvenzverwalter wegen der Wirkung der dem Schuldner bereits am 21. Mai 2010 zugegangenen Freigabeerklärung nicht mehr passiv legitimiert. Die zu § 613a BGB ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem nicht entgegen.
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1. Der Kläger hat den Rückfall seines Arbeitsverhältnisses nicht in direkter oder analoger Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB durch Erklärung eines Widerspruchs verhindert.
25
a) Dies käme nur in Betracht, wenn der beklagte Insolvenzverwalter dem Beschlag der Masse unterliegende Betriebsmittel freigegeben hätte, die sich als eine „Einheit“ im Sinne der zu § 613a BGB ergangenen Rechtsprechung darstellen, und das Arbeitsverhältnis dieser „Einheit“ zugeordnet gewesen wäre. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine entsprechende Anwendung des § 613a BGB geboten wäre, dh. das Arbeitsverhältnis würde auf den Schuldner im Zuge der Freigabe „übergehen“, wenn der Arbeitnehmer nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB widerspricht (BAG 10. April 2008 – 6 AZR 368/07 – Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 – 6 AZR 110/08 – Rn. 26, BAGE 129, 257). Ein Widerspruch würde hingegen den Rückfall an den Schuldner verhindern, der Insolvenzverwalter bliebe passiv legitimiert.
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b) Ob nach Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 InsO von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB auszugehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (befürwortend Ahrens NJW-Spezial 2012, 341; ders. KSzW 2012, 303; Nungeßer NZI 2012, 359; Windel RdA 2012, 366; Henkel Anm. EWiR 2008, 687; ablehnend Ries NZI 2009, 2030; Lindemann BB 2011, 2357; differenzierend Wischemeyer ZInsO 2009, 937). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die vom beklagten Insolvenzverwalter freigegebenen Betriebsmittel eine „Einheit“ im Sinne von § 613a BGB gebildet haben. Er hat auch nicht behauptet, dass er dem Rückfall seines Arbeitsverhältnisses widersprochen habe. Die von ihm gerügte fehlende Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB könnte nur bewirken, dass die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann.
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2. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine Passivlegitimation des Beklagten schließlich nicht unter entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung zum Betriebsübergang, die eine Passivlegitimation des kündigenden Betriebsveräußerers für eine Kündigungsschutzklage auch dann annimmt, wenn nach der Kündigungserklärung ein Betriebsübergang stattfindet (vgl. BAG 16. Mai 2002 – 8 AZR 319/01 – zu B III 1 a der Gründe mwN). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der die Kündigung erklärt hat, auch bei einem späteren Betriebsübergang für die Klärung der Wirksamkeit der Kündigung zuständig sein soll (vgl. BAG 16. Mai 2013 – 6 AZR 556/11 – Rn. 62). Hier hat der Kläger aber gerade nicht den Kündigenden, dh. den Schuldner, verklagt. Im Übrigen befindet sich der Schuldner infolge der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auch nicht in einer dem Betriebsveräußerer, sondern dem Betriebserwerber vergleichbaren Position.
28
C. Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Fischermeier

Gallner

Spelge

M. Geyer

Steinbrück