BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 17.12.2014, 5 AZR 8/13
Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt („equal pay“) – Verjährung
Leitsätze
Die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung (hier: der CGZP) ist keine Tatsache, deren „Unkenntnis“ den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist für den Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt hindern könnte, sondern eine im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG von den Gerichten für Arbeitssachen vorzunehmende rechtliche Bewertung.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Oktober 2012 – 8 Sa 977/12 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.
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Der 1979 geborene Kläger war vom 26. Oktober 2004 bis zum 20. März 2005 als Lagerhelfer und vom 21. März 2005 bis zum 30. Juni 2005 als Hilfskraft bei der Beklagten, die – damals firmierend unter T – gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt. Arbeitsvertraglich war jeweils die Geltung der zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) abgeschlossenen Tarifverträge vereinbart. Der Kläger erhielt auf Grundlage der in Bezug genommenen Tarifverträge einen Bruttostundenlohn von 5,60 Euro. Außerdem waren Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Arbeit an besonderen Tagen in unterschiedlicher Höhe vorgesehen. Die Entgeltzahlung sollte nach Abschluss des Kalendermonats durch Überweisung innerhalb von fünfzehn bis zwanzig Kalendertagen erfolgen.
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Der Kläger war im Streitzeitraum Oktober 2004 bis Juni 2005 verschiedenen Entleihern im Raum Berlin-Brandenburg überlassen.
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2011 verlangte er von der Beklagten Auskunft über die wesentlichen Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer in den Entleiherbetrieben und machte Differenzvergütung „dem Grunde nach“ geltend.
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Eingehend beim Arbeitsgericht am 15. April 2011 hat der Kläger zunächst eine Stufenklage erhoben, mit der er das Auskunftsbegehren gegen die Beklagte weiterverfolgt und einen nach erteilter Auskunft zu beziffernden Zahlungsantrag gestellt hat.
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Nachdem das Arbeitsgericht in der Güteverhandlung auf die Auskunftspflicht des Entleihers nach § 13 AÜG aufmerksam machte, hat der Kläger – nach Einholung von Auskünften – die Klage mit einem am 23. Dezember 2011 eingereichten Schriftsatz auf einen bezifferten Zahlungsantrag umgestellt. Er fordert für den Zeitraum Oktober 2004 bis Juni 2005 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben sollen.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.438,88 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Dezember 2010 zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Einrede der Verjährung erhoben.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Ansprüche des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt für die Dauer der jeweiligen Überlassungen im Streitzeitraum sind verjährt.
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I. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede korrigierender Entgeltanspruch, der mit jeder Überlassung für die jeweilige Dauer der Überlassung entsteht und mit dem arbeitsvertraglich für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig wird. Mangels Eingreifens der besonderen Tatbestände der §§ 196, 197 BGB unterliegt er der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB (BAG 13. März 2013 – 5 AZR 424/12 – Rn. 22, BAGE 144, 322).
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II. Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommt es – neben dem Entstehen des Anspruchs – nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf an, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
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1. Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. Die erforderliche Kenntnis setzt keine zutreffende rechtliche Würdigung voraus, es genügt vielmehr die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BAG 13. März 2013 – 5 AZR 424/12 – Rn. 24, BAGE 144, 322; BGH 26. September 2012 – VIII ZR 240/11 – Rn. 44; 28. Oktober 2014 – XI ZR 17/14 – Rn. 33, jeweils mwN).
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2. Danach hat der Leiharbeitnehmer von dem Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ausreichende Kenntnis iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn er Kenntnis von der Tatsache hat, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers mehr verdienen als er. Dagegen kommt es nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung der arbeitsvertraglichen Klausel an, mit der der Verleiher von der gesetzlich eröffneten Möglichkeit, von dem Gebot der Gleichbehandlung abzuweichen, Gebrauch macht. Vertraut der Leiharbeitnehmer auf deren Rechtswirksamkeit und in diesem Zusammenhang auf die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition, ist dieses Vertrauen ebenso wenig geschützt wie das des Verleihers. Etwas anderes gilt nur dann, wenn und solange dem Leiharbeitnehmer die Erhebung einer die Verjährung hemmenden Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) unzumutbar war (BAG 13. März 2013 – 5 AZR 424/12 – Rn. 25, BAGE 144, 322; 20. November 2013 – 5 AZR 776/12 – Rn. 12).
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3. Dem Kläger waren die Tatsachen bekannt, aus denen er im vorliegenden Rechtsstreit gefolgert hat, vergleichbare Stammarbeitnehmer der Entleiher hätten mehr verdient als er. So hat er den Anspruch auf Vergütungsnachzahlung gegenüber der Beklagten dem Grunde nach geltend gemacht, bevor er Auskunft über die Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer erhielt. Dementsprechend begründete er sein Auskunftsbegehren gegenüber der Beklagten damit, dass er „Anspruch auf diejenige Vergütung hat, die an vergleichbare Arbeitnehmer des jeweiligen Entleiherbetriebes gezahlt wurden“. Er hat im Verfahren darauf hingewiesen, es sei die Beklagte gewesen, die ihm einen vorformulierten Arbeitsvertrag mit der Bezugnahme auf die „Tarifverträge“ der CGZP mit dem Ziel vorgelegt habe, eine geringere Vergütung zu zahlen, als sie die jeweilige Stammbelegschaft erhielt. Danach wusste er, dass die Beklagte mittels der einzelvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge den gesetzlichen Anspruch des Klägers auf eine höhere als die vereinbarte Vergütung ausschließen wollte. Damit übereinstimmend hat er gerichtlich gar nicht in Abrede gestellt, von Anfang an Kenntnis von einer höheren Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer gehabt zu haben, sondern seine „Unkenntnis“ mit seiner Fehleinschätzung der Tarifunfähigkeit der CGZP begründet. Ob Vereinigungen tariffähig sind, ist aber entgegen der Auffassung des Klägers keine Tatsache, sondern eine im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG von den Gerichten für Arbeitssachen vorzunehmende rechtliche Bewertung.
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4. Dem Kläger war eine Klage auf gleiches Arbeitsentgelt vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die fehlende Tariffähigkeit der CGZP auch nicht unzumutbar. Eine solche hätte hinreichende Erfolgsaussicht gehabt (vgl. BAG 13. März 2013 – 5 AZR 424/12 – Rn. 27 ff., BAGE 144, 322; 20. November 2013 – 5 AZR 776/12 – Rn. 14 ff.).
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Nach einer von Schüren an allen deutschen Arbeitsgerichten durchgeführten Befragung, an der sich 83 % der Arbeitsgerichte beteiligten (Stand: August 2007), bezweifelten Arbeitsgerichte in Deutschland seit 2003 nahezu ausnahmslos die Tariffähigkeit der CGZP. Leiharbeitnehmer, die den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt einklagten, hatten damit regelmäßig ganz oder teilweise Erfolg, nur eine einzige Klage wurde abgewiesen (Schüren NZA 2007, 1213). Auch im Schrifttum ist die Tariffähigkeit der CGZP seit deren erstem Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und ihr der Vorwurf gemacht worden, Leiharbeitsunternehmen mit „billigen“ Tarifverträgen „zu versorgen“ (vgl. nur Ankersen NZA 2003, 421; Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 107 ff. mwN). Selbst wenn eine entsprechende Zahlungsklage nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt worden wäre und der Kläger von der Antragsbefugnis des § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG hätte Gebrauch machen müssen, hätte dies keine Unzumutbarkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs bewirkt (aA Schüren AuR 2011, 142). Ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage ist stets zumutbar. Zuwarten allein lässt keine Klärung der Rechtslage erwarten (Staudinger/Peters/Jacoby (2014) § 199 BGB Rn. 62).
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Der Zumutbarkeit der Klageerhebung stand auch nicht höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung BGH 28. Oktober 2014 – XI ZR 17/14 – Rn. 42 ff.). Zu keinem Zeitpunkt ist in dem dafür nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren vom Bundesarbeitsgericht (und auch nicht von Instanzgerichten) die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt worden.
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5. Danach hat die Verjährungsfrist für die streitgegenständlichen Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt jedenfalls mit Schluss des Jahres 2005 zu laufen begonnen, § 199 Abs. 1 BGB. Bei Erhebung der Klage war die regelmäßige Verjährungsfrist abgelaufen.
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6. Die vom Kläger in der Revisionsverhandlung angeregte Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes kommt nicht in Betracht. Dieser entscheidet nur, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will, § 2 Abs. 1 RsprEinhG. Dass die Zumutbarkeit der Klageerhebung übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist (BGH 28. Oktober 2014 – XI ZR 17/14 – Rn. 33 mwN), entspricht der Rechtsprechung des Senats. Ob diese Voraussetzung im Streitfall vorliegt, ist keine Rechtsfrage (zum Begriff etwa BAG 15. März 2011 – 9 AZN 1232/10 – Rn. 6, BAGE 137, 218), sondern Rechtsanwendung.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller-Glöge
Biebl
Weber
Reinders
Rahmstorf