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| Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB rechtsunwirksam. |
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| I. Das Landesarbeitsgericht hat seine der Klage stattgebende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei im Wege eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB ab 1. Juli 2010 von der Insolvenzschuldnerin auf die Beklagte übergegangen. Daher sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (19. August 2010 richtig wohl: 17. August 2010) diese Arbeitgeberin des Klägers gewesen. Nach § 85 SGB IX setze die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber die vorherige Zustimmung des Integrationsamts voraus. Eine solche habe die Beklagte jedoch nicht eingeholt. Das Integrationsamt habe auch keine Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte erklärt. Der Zustimmungsbescheid werde nur dem im Bescheid bezeichneten Arbeitgeber erteilt, sodass nur dieser die Kündigung erklären dürfe. Ob dies im Falle des Betriebsübergangs uneingeschränkt gelte, könne offenbleiben. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Zustimmung von dem Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens unter Hinweis auf einen Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO beantragt worden sei, weil in diesem Falle das Ermessen des Integrationsamts nach Maßgabe des § 89 Abs. 3 InsO (richtig wohl: § 89 Abs. 3 SGB IX) erheblich eingeschränkt sei. In einem solchen Falle solle nämlich die Zustimmung grundsätzlich erteilt werden. |
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| Soweit die Beklagte die Ansicht vertrete, dieses Ergebnis sei für die Praxis untragbar, weil der Insolvenzverwalter bei einer Zustimmungserteilung nach einem Betriebsübergang die Kündigung mangels seiner Arbeitgeberstellung im Zeitpunkt des Kündigungsausspruches nicht mehr wirksam erklären könne, treffe dies nicht zu. Zum einen könne der Betriebserwerber selbst nach dem Betriebsübergang die Zustimmung zu der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem schwerbehinderten Menschen beantragen und sich dabei auch auf die Wirkungen des Interessenausgleichs berufen. Zum anderen könnte auch der Insolvenzverwalter bereits die Zustimmung für den Erwerber unter Hinweis auf den Interessenausgleich mit Namensliste und den unmittelbar bevorstehenden Betriebsübergang beantragen. Schließlich könne der Betriebserwerber auch im Rahmen des von dem Insolvenzverwalter eingeleiteten Zustimmungsverfahrens unter Berufung auf den zwischenzeitlich erfolgten Betriebsübergang nach § 13 VwVfG am Zustimmungsverfahren beteiligt werden, was zur Folge habe, dass nach der beantragten Entbindung des Insolvenzverwalters von seiner Beteiligtenstellung der Betriebserwerber zum Beteiligten des Zustimmungsverfahrens werde. |
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| II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. |
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| Die zulässige Klage ist begründet. |
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| 1. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 17. August 2010 zum 31. März 2011 gegenüber dem schwerbehinderten Kläger ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig, weil die Beklagte sie ohne die nach § 85 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen hat (vgl. zu § 15 SchwbG aF: BAG 16. März 1994 – 8 AZR 688/92 – BAGE 76, 142 = AP Einigungsvertrag Anlage I Kap XIX Nr. 21 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 34). |
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| 2. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Eine solche Zustimmung ist der Beklagten vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung nicht wirksam erteilt worden. |
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| a) Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin hatte als damaliger Arbeitgeber des Klägers eine solche Zustimmung mit Schreiben vom 29. Juni 2010 bei dem zuständigen LWL-Integrationsamt Westfalen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX beantragt. Das Integrationsamt hat diese Zustimmung gegenüber dem Insolvenzverwalter mit Bescheid vom 29. Juli 2010 erteilt. Obwohl zwischen den Parteien streitig ist, ob und wie dieser Bescheid dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist und ob dem Zustellungserfordernis des § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX iVm. §§ 1, 65 Abs. 2 SGB X genüge getan worden ist – entsprechende Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dazu fehlen – braucht dieser Frage nicht nachgegangen zu werden. Selbst wenn nämlich zugunsten der Beklagten eine ordnungsgemäße Zustellung des Zustimmungsbescheides an den Insolvenzverwalter unterstellt wird, fehlt es an einer Zustimmung iSd. § 85 SGB IX zu der von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. |
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| b) Die dem Insolvenzverwalter erteilte Zustimmung stellt keine der Beklagten erteilte Zustimmung iSd. § 85 SGB IX zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger dar. |
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| Dafür spricht zunächst der Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX hat „der Arbeitgeber“ die Zustimmung beim zuständigen Integrationsamt schriftlich zu beantragen. Die Entscheidung des Integrationsamts, also insbesondere auch die Zustimmung zur Kündigung, ist nach § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX „dem Arbeitgeber“ und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. |
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| Die Beklagte als kündigende Arbeitgeberin hat aber weder die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt noch ist ihr von diesem der Zustimmungsbescheid zugestellt worden. Damit war der Beklagten die zur Kündigung nach § 85 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung zur Kündigung nicht erteilt worden. |
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| c) Dass unstreitig ab dem 1. Juli 2010 das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines Betriebsübergangs von der Insolvenzschuldnerin gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangen war, ändert daran nichts. Nach § 613a Abs. 1 BGB geht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf den Betriebserwerber über. Dem Arbeitnehmer sollen die Rechte erhalten bleiben, die ihm gegenüber dem Betriebsveräußerer zustanden. Dies gilt gerade auch für einen bestehenden Sonderkündigungsschutz. Auch dem Arbeitgeber sollen die Rechte aus dem Arbeitsvertrag erhalten bleiben. Dazu gehört das Kündigungsrecht. Allerdings sollen keiner der Vertragsparteien zusätzliche Rechte durch den Betriebsübergang erwachsen. Dies gilt, wie aus § 613a Abs. 4 BGB ersichtlich, gerade auch für das Kündigungsrecht. Ist dieses, wie im Falle des § 85 SGB IX, durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eingeschränkt, so geht es auch nur mit dieser Einschränkung über (BAG 11. Dezember 2008 – 2 AZR 395/07 – BAGE 129, 25 = AP BGB § 613a Nr. 362 = EzA SGB IX § 90 Nr. 5). Der vollständige Eintritt des Betriebsübernehmers in die Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers bedeutet nicht nur eine Nachfolge in rechtlichen Beziehungen. Der Übernehmer muss sich auch Gegebenheiten zurechnen lassen, die als Tatbestandsmerkmale für spätere Rechtsfolgen von Bedeutung sind. So muss zB der neue Arbeitgeber einen bereits gegenüber dem Betriebsveräußerer aufgrund eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers eingetretenen Annahmeverzug gegen sich gelten lassen (vgl. BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68). Damit tritt der neue Arbeitgeber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Ergebnis so in das Arbeitsverhältnis ein, „wie er es im Zeitpunkt des Betriebsübergangs vorfindet“, dh., wie es zu diesem Zeitpunkt bestand (vgl. BAG 22. Februar 1978 – 5 AZR 800/76 – AP BGB § 613a Nr. 11 = EzA BGB § 613a Nr. 18). Zum Zeitpunkt des hier maßgeblichen Betriebsübergangs am 1. Juli 2010 hatte der Insolvenzverwalter zwar bereits die Zustimmung zur Kündigung des Klägers beim Integrationsamt beantragt. Dieser Antrag hatte aber noch keine Auswirkungen tatsächlicher oder rechtlicher Art auf das Arbeitsverhältnis mit der Insolvenzschuldnerin gezeitigt. Allein durch den Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX hatte sich das durch § 85 SGB IX eingeschränkte Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters noch nicht mit der Folge „erweitert“, dass sich die Beklagte nach einer dem Insolvenzverwalter erteilten Zustimmung auf diese erfolgreich berufen konnte. Letztlich ging die dem Insolvenzverwalter durch das Integrationsamt am 29. Juli 2010 erteilte Zustimmung zur Kündigung des Klägers „ins Leere“, weil sie dem nicht mehr kündigungsberechtigten Insolvenzverwalter und nicht – wie es § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX iVm. § 85 SGB IX verlangt – dem Arbeitgeber, dh. der Beklagten erteilt worden war (so auch: Müller NZI 2009, 153). |
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| d) Für dieses Ergebnis spricht neben dem Gesetzeswortlaut auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Regelmäßig weiß nur der Arbeitgeber, aus welchen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen er einem Arbeitnehmer kündigen will. Diese Gründe hat er bereits im Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts oder gegebenenfalls nach entsprechender Aufforderung durch dieses mitzuteilen (vgl. KR-Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85 – 90 SGB IX Rn. 72; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 87 Rn. 1 mwN). Diese Kündigungsgründe muss das Integrationsamt dann seinem Verfahren nach § 87 Abs. 2 SGB IX und seiner Entscheidung nach §§ 88, 89 SGB IX zugrunde legen. |
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| Damit erteilt es dem antragstellenden Arbeitgeber eine Zustimmung aufgrund der ihm von diesem mitgeteilten Gründe. Diesem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung widerspräche es, wenn ein anstelle des bisherigen Arbeitgebers in das Arbeitsverhältnis eingetretener neuer, am Zustimmungserteilungsverfahren unbeteiligter Arbeitgeber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer gegebenenfalls aus Gründen kündigen dürfte, die dem Integrationsamt durch den alten Arbeitgeber nicht mitgeteilt worden waren. |
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| Hinzu kommt, dass das Integrationsamt auch die Rechtsfrage nicht prüfen konnte – weil ihm diese nicht bekannt geworden war -, ob § 89 Abs. 3 SGB IX für den konkreten Fall überhaupt Anwendung findet, weil über das Vermögen des kündigenden „Arbeitgebers“, dh. der Beklagten, das Insolvenzverfahren nicht eröffnet war. |
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| Ob sich die Beklagte auf eine Zustimmung berufen dürfte, die dem Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs durch das Integrationsamt bereits erteilt worden war (bejahend: KR-Pfeiffer 9. Aufl. § 613a BGB Rn. 101), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. |
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| e) Dieses Ergebnis führt nicht dazu, dass der Sinn und Zweck der Insolvenzordnung beeinträchtigt wird. Diese dient nämlich der Möglichkeit, zur Rettung von Unternehmen oder Unternehmensteilen das Unternehmen von Schulden des Insolvenzschuldners zu befreien und dem Erwerber einen Neustart zu ermöglichen („übertragende Sanierung“) (vgl. Wellensiek NZI 2002, 233; 2005, 603) und im Vorgriff auf ein Erwerberkonzept den Personalabbau in der Insolvenz zu ermöglichen (vgl. BAG 20. September 2006 – 6 AZR 249/05 – mwN, AP BGB § 613a Nr. 316 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 62). Der Insolvenzverwalter hätte die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch unter Hinweis auf den beabsichtigten Betriebsübergang beantragen können. Dann hätte das Integrationsamt die Beklagte am Zustimmungsverfahren nach §§ 1, 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB X beteiligen können und nach erfolgtem Betriebsübergang der Beklagten als kündigungsberechtigter Arbeitgeberin nach § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX den Zustimmungsbescheid zustellen können. |
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| III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. |
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