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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.12.2012, 10 AZR 354/11

eingetragen von Thilo Schwirtz am April 2nd, 2013

Zusatzurlaub bei Schichtarbeit gemäß TVöD – geteilter Dienst

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 23. März 2011 – 19 Sa 25/10 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Zusatzurlaub für Schichtarbeit bei geteilten Diensten.
2
Der Kläger ist für die Beklagte als Krankenpfleger tätig. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach der „Arbeitsrechtsregelung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (AR-M)“. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AR-M findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) „in der Fassung Bund vom 13. September 2005 in der jeweils geltenden Fassung für das Tarifgebiet West“ Anwendung, soweit nicht durch weitere Arbeitsrechtsregelungen etwas anderes bestimmt wird. Nach § 27 Abs. 1 Buchst. b TVöD erhalten Beschäftigte, die ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 TVöD leisten und denen die Zulage nach § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD zusteht, bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate einen Arbeitstag Zusatzurlaub. § 7 Abs. 2 TVöD definiert Schichtarbeit wie folgt:
„Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht, und die innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird.“
3
§ 4 Nr. 8 AR-M bestimmt ergänzend zu § 8 Abs. 6 TVöD:
(Fassung bis 31. März 2009:)
Die Schichtzulage ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch bei Arbeit mit ‚Arbeitsunterbrechung’ (geteilter Dienst) zu zahlen.
(Fassung ab 1. April 2009:)
Die Schichtzulage ist in der ambulanten und stationären Pflege, Betreuung und Erziehung auch bei geteiltem Dienst zu zahlen, wenn dieser regelmäßig zu leisten ist. Geteilter Dienst ist dann gegeben, wenn die tägliche Arbeitszeit aus zwingenden betrieblichen Gründen unterbrochen werden muss und Beginn und Ende der täglichen Arbeit eine Zeitspanne von mindestens 13 Stunden haben. Arbeitszeitrechtliche Pausen sind keine Unterbrechungen in diesem Sinne.“
4
Der tägliche (geteilte) Dienst des Klägers beginnt um 7:00 Uhr und dauert bis 13:00 Uhr oder 14:00 Uhr. Mindestens zweimal, häufig auch drei- oder viermal pro Woche wird er am selben Tag von 16:00 Uhr, 17:00 Uhr oder 17:30 Uhr bis 19:30 Uhr, 20:30 Uhr oder 21:00 Uhr erneut zur Arbeit herangezogen. Die Beklagte zahlt dem Kläger die Schichtzulage gemäß § 4 Nr. 8 AR-M iVm. § 8 Abs. 6 TVöD, gewährt aber keinen Zusatzurlaub für Schichtarbeit.
5
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er leiste Schichtarbeit iSv. § 7 Abs. 2 TVöD, sodass auch ein Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 27 Abs. 1 Buchst. b TVöD bestehe.
6
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, seinem Urlaubskonto für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. August 2009 zwei zusätzliche Urlaubstage gutzuschreiben,
2.
festzustellen, dass ihm für je vier zusammenhängende Monate, in denen er regelmäßig nach Schichtplan die tägliche Arbeit nach einer Unterbrechung von drei Stunden wieder aufnimmt, ein Tag Zusatzurlaub zusteht, wenn Beginn und Ende der Arbeit innerhalb einer Zeitspanne von 13 Stunden liegen.
7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Arbeit in geteilten Diensten sei keine Schichtarbeit iSv. § 7 Abs. 2 TVöD.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AR-M, § 27 Abs. 1 Buchst. b TVöD. Beschäftigte, die ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 TVöD leisten und denen die Zulage nach § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD zusteht, erhalten zwar bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate einen Arbeitstag Zusatzurlaub. Der Kläger leistet aber keine Schichtarbeit iSv. § 7 Abs. 2 TVöD, weil sein Dienstplan keinen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit vorsieht. Geteilte Dienste ohne regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden sind keine Schichtarbeit iSv. § 7 Abs. 2 TVöD. Dies ergibt die Auslegung der Norm.
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I. Für den Begriff „Schichtarbeit“ ist nach seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die wirkliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinaus anfällt und diese daher von mehreren Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge, teilweise auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit, erbracht wird. Bei der Schichtarbeit arbeiten nicht sämtliche Beschäftigte eines Betriebs zur gleichen Zeit, sondern ein Teil arbeitet, während der andere Teil arbeitsfreie Zeit hat. Die Arbeit muss dabei nach einem Schichtplan erfolgen, wobei nicht erforderlich ist, dass dieser vom Arbeitgeber vorgegeben ist (BAG 24. März 2010 – 10 AZR 570/09 – Rn. 14, EzTöD 100 TVöD-AT § 7 Schicht-/Wechselschichtarbeit Nr. 13; 8. Juli 2009 – 10 AZR 589/08 – Rn. 19, EzTöD 100 TVöD-AT § 7 Schicht-/Wechselschichtarbeit Nr. 7).
11
II. § 7 Abs. 2 TVöD verlangt weiter, dass der Schichtplan einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht. Der Wortlaut ist eindeutig, der Beginn der täglichen Arbeitszeit muss um die tariflich bestimmte Zeitspanne wechseln. Absolviert der Beschäftigte Schichten, deren Anfangszeiten weniger als zwei Stunden auseinanderliegen, liegt deshalb keine Schichtarbeit im Tarifsinn vor (Burger in Burger TVöD 2. Aufl. § 7 Rn. 26); bei einem geteilten Dienst, wie er vom Kläger zu leisten ist, gilt nichts anderes. Der tägliche Beginn der Arbeitszeit wechselt nicht, die Arbeitszeit beginnt jeden Tag zur gleichen Zeit. Bei geteilten Diensten beginnt die „tägliche“ Arbeitszeit nachmittags auch nicht „neu“, weil sie grundsätzlich nur einmal am Tag beginnen kann. Werden bei täglich gleichem Arbeitsbeginn nach einer Arbeitsunterbrechung am selben Tag weitere Arbeitsleistungen erbracht, wird die tägliche Arbeitszeit deshalb fortgesetzt und nicht ein zweites Mal neu begonnen.
12
III. Die Tarifsystematik entspricht diesem Tarifverständnis. § 7 TVöD regelt Wechselschicht- und Schichtarbeit. Der bei beiden Formen von Schichtarbeit notwendige Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit wird bei Wechselschichtarbeit nach § 7 Abs. 1 TVöD bereits durch das Erfordernis ununterbrochener Arbeitsschichten und der Heranziehung zum Nachtdienst gewährleistet; es genügt deshalb, dass § 7 Abs. 1 TVöD allgemein den „regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit“ voraussetzt. § 7 Abs. 2 TVöD verlangt für die Annahme von Schichtarbeit ausdrücklich einen „Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit“. Der Beginn der täglichen Arbeitszeit muss immer wechseln, um die tariflich bestimmten Ansprüche für Wechselschicht- und Schichtarbeit auszulösen.
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IV. Dies bestätigt die Tarifgeschichte. Nach § 15 Abs. 8 Unterabs. 7 BAT war Schichtarbeit definiert als „Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit … vorsieht“. Folgerichtig konnte Schichtarbeit vorliegen und die Schichtzulage nach § 33a Abs. 2 BAT begründen, wenn die Arbeit durch eine längere Arbeitspause unterbrochen wurde; notwendig war vor allem, dass sie innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wurde (BAG 2. Oktober 1996 – 10 AZR 232/96 – AP BAT § 33a Nr. 12). Dass § 7 Abs. 2 TVöD nunmehr ausdrücklich den Wechsel im täglichen Beginn der Arbeitszeit für die Annahme von Schichtarbeit fordert, spricht für eine von den Tarifvertragsparteien gewollte Präzisierung der Anspruchsvoraussetzungen; der Einwand der Revision, die Tarifvertragsparteien hätten mit der Definition von Schichtarbeit in § 7 Abs. 2 TVöD an das bisherige Verständnis von Schichtarbeit angeknüpft, trägt deshalb in diesem Punkt nicht (vgl. BAG 21. Oktober 2009 – 10 AZR 70/09 – Rn. 18, AP TVöD § 7 Nr. 3).
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V. Die Auslegung steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck des Anspruchs auf Zusatzurlaub nach § 27 Abs. 1 Buchst. b TVöD. Schichtarbeit wirkt erheblich auf den Lebensrhythmus des Arbeitnehmers ein(vgl. BAG 21. Oktober 2009 – 10 AZR 70/09 – Rn. 20, AP TVöD § 7 Nr. 3), mit ihr sind typischerweise besondere physische und soziale Belastungen verbunden, die mit dem Zusatzurlaub ausgeglichen werden sollen (Fieberg in Fürst GKÖD IV Teil 2 Stand November 2012 E § 27 Rn. 1, 16). Auch ein geteilter Dienst stellt zwar wegen der Inanspruchnahme in einer verlängerten Zeitspanne gegenüber einem „normalen“, lediglich durch Arbeitspausen unterbrochenen Dienst eine zusätzliche Belastung dar; gegenüber „echter“ Schichtarbeit ist die Belastung aber reduziert, weil der Lebensrhythmus bei einem täglich gleichen Arbeitsbeginn nicht in dem Maße aus dem Gleichgewicht gebracht wird.
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VI. Diesem tariflichen Verständnis von Schichtarbeit steht die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung nicht entgegen. Nach Art. 2 Ziff. 5 dieser Richtlinie ist Schichtarbeit jede Form der Arbeitsgestaltung kontinuierlicher oder nicht kontinuierlicher Art mit Belegschaften, bei der Arbeitnehmer nach einem bestimmten Zeitplan, auch im Rotationsturnus, sukzessive an den gleichen Arbeitsstellen eingesetzt werden, sodass sie ihre Arbeit innerhalb eines Tages oder Wochen umfassenden Zeitraums zu unterschiedlichen Zeiten verrichten müssen. Ob ein geteilter Dienst mit täglich gleichem Arbeitsbeginn Schichtarbeit im Sinne der Richtlinie ist, kann dahinstehen. Art. 12 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, erforderliche Maßnahmen zu treffen, damit Nacht- und Schichtarbeitern hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit in einem Maß Schutz zuteil wird, das der Art ihrer Arbeit Rechnung trägt; an die Ableistung von Schichtarbeit wird aber keine bestimmte Rechtsfolge, auch nicht die Gewährung von Zusatzurlaub, geknüpft. Vorliegend kommt hinzu, dass § 4 Nr. 8 AR-M bei geteilten Diensten ausdrücklich einen Belastungsausgleich regelt.
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VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Mikosch
W. Reinfelder
Mestwerdt
Schürmann
Fieback