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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 11.7.2013, 2 AZR 241/12

eingetragen von Thilo Schwirtz am Januar 2nd, 2014

Auflösungsantrag des Arbeitnehmers

Tenor

 

 

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 21. Dezember 2011 – 9 Sa 136/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die vom Kläger beantragte Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
2
Der Kläger war seit Januar 1998 bei der Beklagten – einem papierverarbeitenden Unternehmen – als gewerblicher Arbeitnehmer tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme gelten für das Arbeitsverhältnis die „für die gewerblichen Arbeitnehmer der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie abgeschlossenen Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung“. Dementsprechend betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers anfänglich 35 Stunden.
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Unter dem 1. Dezember 2004 vereinbarten die Parteien im Rahmen einer „Ergänzung zum Arbeitsvertrag“, dass die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers künftig im Jahresdurchschnitt 35 Stunden betragen und der Kläger auf Anforderung der Beklagten pro Woche bis zu drei Stunden unentgeltliche Mehrarbeit „zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit seines Arbeitsplatzes“ leisten sollte. Die monatliche Vergütung sollte – unabhängig vom Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit – auf der Basis von 35 Stunden pro Woche erfolgen. „Plusstunden“ – über 38 Wochenstunden hinaus geleistete Arbeit – und „Minusstunden“ sollten in ein Arbeitszeitkonto eingestellt werden, für das nähere Regelungen getroffen wurden.
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Am 20. Februar 2006 bat die Beklagte den Kläger um Zustimmung zu einer Erhöhung der Arbeitszeit von „bisher 38 h/Woche“ auf „40 h/Woche“ ohne Lohnausgleich. Dieser lehnte ab und weigerte sich, eine entsprechende „Ergänzung zum Arbeitsvertrag“ zu unterzeichnen.
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Bereits am 16. Januar 2004 hatte die Beklagte den Kläger mit der Begründung abgemahnt, er habe seine Anzeigepflichten im Zusammenhang mit einer Erkrankung verletzt. Im September 2006 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Hinweis auf betriebliche Gründe ordentlich. Aufgrund rechtskräftiger Entscheidung steht fest, dass diese Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
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Mit Schreiben vom 15. Januar 2007, vom 3. März 2011 und vom 9. März 2011 erteilte die Beklagte dem Kläger weitere Abmahnungen. Mit Schreiben vom 30. März 2011 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. August 2011. Unter dem 18. August 2011 kündigte sie das Arbeitsverhältnis erneut, nunmehr zum 31. Januar 2012.
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Gegen die Kündigung vom 30. März 2011 hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit Kündigungsschutzklage erhoben. Durch Teilurteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht – rechtskräftig – zurückgewiesen. Hinsichtlich der Kündigung vom 18. August 2011 hat der Kläger am 6. Februar 2012 seine in erster Instanz wegen Zahlung und anderer Forderungen noch anhängige Klage um einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG erweitert; eine Entscheidung des Arbeitsgerichts über diesen Antrag steht noch aus.
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Im vorliegenden Verfahren steht noch ein erstmals im Berufungsrechtszug gestellter Auflösungsantrag des Klägers im Streit. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm unzumutbar. Seit seiner Weigerung, einer weiteren Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zuzustimmen, versuche die Beklagte, ihn aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen. Mit der Kündigung vom September 2006 habe sie nur ihre Macht demonstrieren wollen, nach Belieben über den Arbeitsplatz verfügen zu können. Anschließend habe sie sich darauf verlegt, ihn mit einer „Politik der kleinen Nadelstiche“ zu treffen. Bei nichtigen Anlässen sei er von Vorgesetzten getadelt, gelegentlich sei er übermäßig, teils über zehn Stunden werktäglich hinaus zu Arbeitsleistungen herangezogen worden. Sein Arbeitszeitkonto werde auf der Basis einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden geführt. Das komme einer Erzwingung der verweigerten Mehrarbeit gleich. Die erste Kündigung habe bei ihm eine Depression ausgelöst. Seither befinde er sich – wie der Beklagten bekannt – in ärztlicher Behandlung. Sein Gesundheitszustand habe sich von da an stetig verschlechtert. Im Zusammenhang mit den neuerlichen, wiederum offensichtlich unwirksamen Kündigungen vom März und August 2011 sei ihm ärztlicherseits dringend geraten worden, das Arbeitsverhältnis im Interesse seiner Gesundheit zu beenden.
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Der Kläger hat im Wege der Anschlussberufung beantragt,
das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. August 2011 gegen Zahlung einer hinsichtlich der Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen. Sie habe den Kläger weder grundlos abgemahnt, noch habe sie leichtfertig Kündigungen ausgesprochen.
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Das Landesarbeitsgericht hat nach dem Antrag der Beklagten erkannt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, es liege kein hinreichender Grund vor, das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Klägers aufzulösen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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I. Die Revision bleibt nicht deshalb erfolglos, weil die von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Prozesses über den Antrag des Klägers nicht vorlägen. Zwar konnte der Kläger, der durch das Teilurteil des Arbeitsgerichts nicht beschwert war, den Auflösungsantrag nur im Rahmen einer – nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG ausnahmsweise noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zulässigen – Anschlussberufung anbringen (vgl. BAG 3. April 2008 – 2 AZR 720/06 – Rn. 11, BAGE 126, 226). Als ein solches Anschlussrechtsmittel ist sein schon mit der Berufungserwiderung angekündigter Antrag aber zu verstehen (zu einer solchen Auslegung vgl. BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 124/11 – Rn. 11).
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II. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 30. März 2011 rechtskräftig für sozialwidrig erachtet. Dabei ist es unausgesprochen davon ausgegangen, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt. Die Beklagte hat diesbezüglich keine Einwände erhoben.
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III. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Gericht das durch eine sozialwidrige Kündigung nicht beendete Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Dafür muss kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Es reicht aus, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Dauer unzumutbar ist (BAG 27. März 2003 – 2 AZR 9/02 – zu II 2 der Gründe; 26. November 1981 – 2 AZR 509/79 – zu II 2 der Gründe, BAGE 37, 135). Dafür wiederum genügt nicht allein die Sozialwidrigkeit der Kündigung. Es bedarf vielmehr zusätzlicher, vom Arbeitnehmer darzulegender Umstände. Diese müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder doch dem Kündigungsschutzprozess stehen (BAG 24. September 1992 – 8 AZR 557/91 – zu I 3 der Gründe, BAGE 71, 221; 18. Januar 1962 – 2 AZR 179/59 – zu II der Gründe, BAGE 12, 174). Auflösungsgründe können sich demnach aus den Modalitäten der Kündigung als solcher und aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben, die mit der Kündigung einhergehen (BAG 24. September 1992 – 8 AZR 557/91 – aaO: gänzlich ungerechtfertigte Suspendierung).
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IV. Diesen Maßstäben hält die angefochtene Entscheidung stand.
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1. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Zumutbarkeitsprüfung zutreffend auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung am 21. Dezember 2011 abgestellt. Dabei hat es mit Recht auch solche Umstände berücksichtigt, die sich – wie die am 18. August 2011 erklärte Kündigung – erst im Verlauf des Prozesses ergeben haben (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 – 2 AZR 554/08 – Rn. 22, 23 mwN).
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2. Das Landesarbeitsgericht war wegen der zum 31. Januar 2012 erklärten Kündigung nicht gehindert, über den Auflösungsantrag zu entscheiden. Zwar kann der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis alsbald nach einem möglichen Auflösungszeitpunkt ohnehin enden würde, von Bedeutung für die anzustellende Zumutbarkeitsprüfung sein. Ein solcher Umstand macht eine Entscheidung über den Auflösungsantrag aber nicht obsolet, sondern beeinflusst unter Umständen ihr Ergebnis: Ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, richtet sich ua. nach der voraussichtlichen Dauer einer Weiterbeschäftigung. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über einen Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen (BAG 27. April 2006 – 2 AZR 360/05 – Rn. 29, BAGE 118, 95).
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3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil es keine konkreten Ausführungen zu dem für die Zumutbarkeitsprüfung maßgebenden Zeitraum enthält. Das Landesarbeitsgericht ist entweder von einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nur bis zum 31. Januar 2012 oder aber von einem Fortbestand auf unbestimmte Zeit ausgegangen. Auch eine Weiterarbeit auf unbestimmte Zeit war dem Kläger nicht unzumutbar. Dies vermag der Senat, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt feststeht, selbst zu beurteilen.
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a) Der Kläger hat gemeint, das Vertrauensverhältnis der Parteien sei deshalb unheilbar zerrüttet, weil die Beklagte, wie die vorangegangenen Kündigungen belegten, darauf ausgehe, ihn „um jeden Preis“ aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen. Das trifft nicht zu.
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aa) Ein die Unzumutbarkeit iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG begründender Umstand kann darin liegen, dass ein Kündigungsschutzverfahren über eine offensichtlich sozialwidrige Kündigung seitens des Arbeitgebers mit einer solchen Schärfe geführt worden ist, dass der Arbeitnehmer mit einem schikanösen Verhalten des Arbeitgebers und anderer Mitarbeiter rechnen muss, wenn er in den Betrieb zurückkehrt(BAG 27. März 2003 – 2 AZR 9/02 – zu II 2 a der Gründe). Das Arbeitsverhältnis kann ferner aufzulösen sein, wenn feststeht, dass sich der Arbeitgeber ungeachtet der im Kündigungsschutzprozess vertretenen Rechtsauffassung des Gerichts auf jeden Fall von ihm trennen will und offensichtlich beabsichtigt, mit derselben oder einer beliebigen anderen Begründung solange Kündigungen auszusprechen, bis er sein Ziel erreicht hat (vgl. BAG 27. März 2003 – 2 AZR 9/02 – zu II 3 b der Gründe; 29. Januar 1981 – 2 AZR 1055/78 – zu III 2 b der Gründe, BAGE 35, 30).
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bb) Anhaltspunkte für eine derartige Intention der Beklagten liegen nicht vor.
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(1) Dass die Beklagte gegenüber dem Kläger inzwischen drei Kündigungen erklärt hat, spricht nicht für einen Trennungswillen „um jeden Preis“. Die Kündigungen beruhen nicht auf demselben Lebenssachverhalt und stehen auch sonst in keinem erkennbaren Zusammenhang. Während sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Kündigung aus dem Jahr 2006 auf betriebliche Gründe berufen hat, hat sie die Kündigungen im Jahr 2011 auf Gründe im Verhalten des Klägers gestützt. Das Urteil des Arbeitsgerichts betreffend die Kündigung vom September 2006 hat sie hingenommen und den Kläger weiterbeschäftigt. Zwischen diesem Urteil und der nachfolgenden Kündigung vom 30. März 2011 liegt ein Zeitraum von mehr als vier Jahren. Die deutliche zeitliche Zäsur widerspricht nicht nur der Auffassung des Klägers, die Beklagte wolle ihn als „missliebigen Arbeitnehmer“ unbedingt „loswerden“. Sie steht auch der Annahme entgegen, die Kündigungen stellten eine Reaktion auf seine Weigerung dar, einer Erhöhung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich zuzustimmen.
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(2) Hinzu kommt, dass sich die Kündigungen, zumindest was diejenigen aus dem Jahr 2011 betrifft, nicht als offensichtlich sozialwidrig erweisen. Dass die Beklagte sie leichtfertig erklärt und Kündigungsgründe „an den Haaren“ herbeigezogen hätte, ist nicht ersichtlich.
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(a) Anlass für die Kündigung vom 30. März 2011 war der Umstand, dass der Kläger am 9. März 2011 seinen Arbeitsplatz unerlaubt für eine Raucherpause von mehr als zehn Minuten verlassen und sich dafür bewusst nicht „ausgestempelt“ hatte. Ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist „an sich“ geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen (vgl. BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 14). Selbst wenn die Beklagte das Arbeitszeitkonto vertragswidrig geführt haben sollte, gäbe dies dem Kläger nicht das Recht, Arbeitsleistungen vorzuspiegeln, die er nicht erbracht hat. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 30. März 2011 nicht mangels Pflichtwidrigkeit des Klägers, sondern deshalb für sozialwidrig erachtet, weil der Kündigungsgrund aufgrund vorausgegangener Abmahnungen „verbraucht“ gewesen sei. Der Kläger habe die ihm am 9. März 2011 wegen Rauchens in der Kantine „während der regulären Arbeitszeit“ erteilte Rüge so verstehen dürfen, dass von ihr auch der Vorwurf erfasst sei, er habe die Pause nicht wie vorgeschrieben dokumentiert. Daraus folgt nicht, dass sich der Beklagten die Unwirksamkeit der Kündigung ohne Weiteres aufdrängen musste und sie sich leichtfertig zu ihr hat hinreißen lassen.
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(b) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Kündigung vom 30. März 2011 auch auf ein Fehlverhalten des Klägers im Zusammenhang mit einem von ihm gewünschten Schichttausch und ein unberechtigtes Verlassen des Betriebs vor dem Ende der Schicht am 16. März 2011 berufen hat. Selbst wenn diese Umstände wegen der Geringfügigkeit der behaupteten Vertragsverletzungen ungeeignet gewesen sein sollten, eine Kündigung zu rechtfertigen, ergibt sich daraus kein unbedingter Trennungswille der Beklagten. Diese hat das fragliche Verhalten des Klägers nicht isoliert, sondern nur zusammen mit seinem Verhalten bei der Arbeitszeiterfassung zum Kündigungsanlass genommen.
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(c) Es kann dahinstehen, ob der Beklagten für die Kündigung vom 18. August 2011 Gründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG zur Seite standen. Auch sie ist jedenfalls nicht offensichtlich unwirksam.
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(aa) Nach den Feststellungen im Berufungsurteil hat der Kläger zumindest ab dem 11. August 2011 seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten weder angezeigt noch nachgewiesen – allerdings bestand im fraglichen Zeitraum keine Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten mehr.
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(bb) Es spricht viel dafür, dass die Pflichten aus § 5 Abs. 1 EFZG einen Arbeitnehmer auch während solcher Zeiten treffen, für die er nach § 3 Abs. 1 EFZG keine Entgeltfortzahlung (mehr) beanspruchen kann. Das gilt zumindest im ungekündigten Arbeitsverhältnis, zu dem im Fall der ordentlichen Kündigung auch Zeiten vor dem Kündigungstermin zählen (vgl. ErfK/Dörner/Reinhard 13. Aufl. § 5 EFZG Rn. 3; Schmitt EFZG 5. Aufl. § 5 Rn. 38). Soweit der Senat (vgl. BAG 24. November 1994 – 2 AZR 179/94 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 78, 333) angenommen hat, der Arbeitnehmer sei für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses im Regelfall von den ihm sonst obliegenden Anzeige- und Nachweispflichten befreit, betrifft dies Zeiten nach dem mitgeteilten Beendigungstermin.
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(cc) Unabhängig davon, wie die Rechtslage im Ergebnis zu beurteilen ist, kann der Beklagten jedenfalls nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe eine offensichtlich haltlose Kündigung erklärt. Das gilt umso mehr, als sie den Kläger bereits unter dem 3. März 2011 wegen Verletzung der Anzeigepflicht – aus ihrer Sicht berechtigt – abgemahnt hatte. Soweit der Kläger vorbringt, er sei nicht davon ausgegangen, dass weitere „Nachrichten oder Nachweise“ gegenüber der Beklagten erforderlich gewesen seien, und soweit er sich darauf beruft, diese habe die Nichtanzeige der Arbeitsunfähigkeit und das Ausbleiben eines Nachweises seit Juni 2011 stillschweigend „geduldet“, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen rechtfertigt auch dieser Vortrag nicht die Annahme, die Beklagte habe offensichtlich grundlos gekündigt.
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b) Dem Kläger war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten nicht wegen anderer Umstände unzumutbar.
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aa) Seine Behauptung, die „Betriebsleitung der Beklagten“ und seine Vorgesetzten hätten nach der ersten Kündigung eine „Politik der kleinen Nadelstiche“ betrieben und versucht, ihn aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen, hat das Landesarbeitsgericht mit Recht als unsubstantiiert angesehen. Es fehlt an der Darstellung konkreter Geschehensabläufe, die es ermöglicht hätten, etwaige Verstöße der Beklagten gegen die ihr obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB und/oder eine Verletzung geschützter Rechtsgüter des Klägers iSd. § 823 Abs. 1 BGB festzustellen (vgl. zu dieser Anforderung BAG 28. Oktober 2010 – 8 AZR 546/09 – Rn. 17; 13. März 2008 – 2 AZR 88/07 – Rn. 51).
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bb) Ein Auflösungsgrund ergibt sich nicht aus dem Vorbringen des Klägers, die Beklagte habe die von ihm verweigerte Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich durch eine bestimmte Schichteinteilung und die Führung seines Arbeitszeitkontos auf der Grundlage einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden dennoch „erzwungen“. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, hierin liege deshalb kein die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung begründender Umstand, weil das beanstandete Verhalten nicht in Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess stehe. Die Würdigung erweist sich – jedenfalls im Ergebnis – als rechtsfehlerfrei.
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(1) Die Möglichkeit, im Rahmen des durch das Kündigungsschutzgesetz gewährleisteten Bestandsschutzes das Arbeitsverhältnis durch gerichtliche Entscheidung aufzulösen, beruht – neben anderen Motiven – auf der Erwägung des Gesetzgebers, das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien könne entweder durch die zur Rechtfertigung der Kündigung angeführten Gründe selbst oder durch das Kündigungsschutzverfahren ohne ein Verschulden des Arbeitnehmers zerrüttet worden sein (vgl. den Abdruck der Gesetzesbegründung in RdA 1951, 64). Dem trägt die Anforderung Rechnung, zwischen Kündigung und/oder Kündigungsschutzprozess einerseits und dem geltend gemachten Auflösungsgrund müsse ein Zusammenhang bestehen. Sie stellt sicher, dass nicht jeder Streit der Parteien über den Inhalt ihrer Vertragspflichten zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen kann. Dies wäre mit der gesetzgeberischen Intention, bei sozialwidriger Kündigung vorrangig den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten, nicht in Einklang zu bringen.
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(2) Die Art und Weise, wie die Beklagte das Arbeitszeitkonto des Klägers führt, hat erkennbar nichts mit der Kündigung vom 30. März 2011 zu tun. Im Übrigen rechtfertigte das Vorgehen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch dann nicht, wenn man von der Voraussetzung des „inneren Zusammenhangs“ absähe. Die Beklagte mag sich in der Vergangenheit über arbeitsvertragliche Vereinbarungen und in Einzelfällen über gesetzliche Arbeitszeitbestimmungen hinweggesetzt haben. Das bedeutet nicht, dass sie bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter keinen Umständen bereit wäre, zu vertragskonformem Verhalten zurückzukehren. Dass die Beklagte einem erstinstanzlich angebrachten Antrag des Klägers festzustellen, für ihn gelte eine Arbeitszeit von 38 Stunden, und einem Antrag auf Zahlung von Differenzvergütung entgegengetreten ist, vermag eine entsprechende Besorgnis nicht zu begründen. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, der Kläger habe durch die widerspruchslos erbrachten Arbeitsleistungen konkludent in die ihm angetragene Vertragsänderung eingewilligt, zumindest aber die konkrete Arbeitszeitgestaltung und die Führung seines Arbeitszeitkontos auf der Basis von 40 Wochenstunden geduldet. Allein daraus, dass der Arbeitgeber in einer zwischen den Parteien umstrittenen Frage einen anderen rechtlichen Standpunkt einnimmt und deshalb einer womöglich berechtigten Vergütungsforderung seines Arbeitnehmers nicht von sich aus nachkommt, folgt nicht, dass diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar wäre. Etwas anderes könnte nur bei gänzlich haltlosem Gegenvortrag gelten. Dafür fehlt es im Streitfall an Anhaltspunkten. Der Kläger hat nicht behauptet, er habe die Beklagte in der Vergangenheit unmissverständlich aufgefordert, bei der Schichteinteilung und der Führung des Arbeitszeitkontos auf eine für ihn geltende Arbeitszeit von weniger als 40 Stunden Bedacht zu nehmen.
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cc) Die Ausführungen des Klägers zu einer bei ihm aufgetretenen Depression rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
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(1) Das Landesarbeitsgericht hat als wahr unterstellt, dass die im September 2006 erklärte Kündigung seine Erkrankung ausgelöst und die zweite Kündigung sie verstärkt hat. Es ist ferner davon ausgegangen, dem Kläger sei in Anbetracht seiner Erkrankung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten unzumutbar, weil nach ärztlicher Einschätzung eine Genesung nur bei dessen Beendigung möglich sei. Es hat seine Auffassung, gleichwohl sei das Arbeitsverhältnis nicht aufzulösen, im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte für die Depression nicht einzustehen habe. Erkranke der Arbeitnehmer infolge einer sozialwidrigen Kündigung, verwirkliche sich ein allgemeines Lebensrisiko. Ein Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG liege nur vor, wenn der Arbeitgeber ein über die Sozialwidrigkeit hinausgehendes, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten gezeigt habe. Das sei hier nicht der Fall.
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(2) Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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(a) Die Beurteilung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 KSchG erfordert eine Abwägung, die der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes als eines Bestandsschutz gewährenden Gesetzes und dem Ausnahmecharakter der Regelung ausreichend Rechnung trägt (BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 483/07 – Rn. 72). Der im Interesse des Arbeitnehmers geschaffene Bestandsschutz soll zwar, wie schon die Regelungen des § 7 und des § 12 KSchG belegen, nicht gegen dessen Willen durchsetzbar sein. Grundsätzlich geht das Gesetz aber bei sozial ungerechtfertigter Kündigung von der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus. Die Auflösung ist an Umstände gebunden, die messbar über die bloße Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nach § 1 KSchG hinausgehen.
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(b) Für eine Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG müssen die Gründe, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien entgegenstehen, nicht notwendig im Verhalten, insbesondere nicht in einem schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen (vgl. BAG 9. September 2010 – 2 AZR 482/09 – Rn. 11; 10. Juni 2010 – 2 AZR 297/09 – Rn. 13, jeweils mwN). Ob dies gleichermaßen für den Auflösungsantrag des Arbeitnehmers gilt und dieser eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch dann verlangen kann, wenn der Arbeitgeber die zur Unzumutbarkeit führenden Umstände nicht durch eigenes Tun zu verantworten hat, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Beurteilung (zur Problematik vgl. KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 41; APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 44). Ein Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die einer Weiterarbeit entgegenstehenden Tatsachen im Einfluss- oder Risikobereich des Arbeitnehmers liegen. Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer infolge einer sozialwidrigen Kündigung erkrankt oder durch sie eine schon bestehende Erkrankung sich verschlimmert, aber der Arbeitgeber die Krankheit weder zielgerichtet herbeigeführt, noch mit einer offensichtlich unbegründeten Kündigung oder etwa ehrverletzenden Äußerungen die Verschlechterung des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers als möglich angesehen und bewusst in Kauf genommen hat.
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(c) Ein entsprechender Vorwurf kann der Beklagten nicht gemacht werden. Selbst wenn ihr das Leiden des Klägers bei Zugang der Kündigung vom 30. März 2011 bekannt gewesen sein sollte, musste sie nicht vom Ausspruch ihrer – nicht offensichtlich unbegründeten – Kündigung absehen. Gleiches trifft auf die Kündigung vom 18. August 2011 zu.
42
(d) Ähnliches gilt, falls die Führung des Arbeitszeitkontos die Krankheit des Klägers befördert hat. Dem Arbeitnehmer steht mit Blick auf ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers, das in keinem Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess steht, nicht ein Wahlrecht zwischen Eigenkündigung und gerichtlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu (KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 43). Es besteht auch dann nicht, wenn das Verhalten einen wichtigen Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nur selbst fristlos kündigen und Schadenersatz nach § 628 Abs. 2 BGB verlangen. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG führt nicht zu einem eigenständigen Kündigungsgrund mit Abfindungsanspruch (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 7). Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Schichteinteilung und Führung des Arbeitszeitkontos über lange Zeit widerspruchslos hingenommen hat. Auch dies steht der Auflösung wegen Missachtung der für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Arbeitszeit entgegen.
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V. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
    Kreft
    Rachor
    Berger
    B. Schipp
    Wolf