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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 11.12.2013, 4 AZR 493/12

eingetragen von Thilo Schwirtz am Mai 2nd, 2014

Eingruppierung einer Leiterin einer Kindertagesstätte – Durchschnittsbelegung

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 4. April 2012 – 2 Sa 1327/11 E – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die zutreffende tarifliche Eingruppierung der Klägerin.
2
Die Klägerin ist bei der beklagten Gemeinde als Leiterin eines aus zwei Kindergruppen bestehenden Kindergartens in S beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Anwendung. Nach dem Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) – Besonderer Teil Verwaltung – (BT-V) vom 27. Juli 2009 gelten für die Eingruppierung der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ab dem 1. November 2009 nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der „Anlage zu Abschnitt VIII Sonderregelungen (VKA) § 56“ die Tätigkeitsmerkmale des Anhangs zur Anlage C und damit die Entgeltgruppen S. Von November 2009 bis einschließlich Dezember 2010 erhielt die Klägerin ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA als Leiterin einer Kindertagesstätte mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen.
3
Mit Wirkung vom 1. August 2010 wurde der Beklagten eine neue Betriebserlaubnis für den Kindergarten S erteilt, in der es ua. heißt:
„Die Erlaubnis gilt für
1 Vormittagsgruppe mit höchstens 25 Kindern von der Vollendung des dritten Lebensjahres bis zur Einschulung (Kindergarten)
1 Vormittagsgruppe, altersübergreifend mit höchstens 25 Kindern von der Vollendung des zweiten Lebensjahres bis zur Einschulung (Kindergarten)
Hinweise:
1. …
2. Sobald in der altersübergreifenden Vormittagsgruppe mehr als 3 Kinder anderer Altersgruppen betreut werden, ist die in § 2 Absatz 1 Nr. 2 der 1. DVO-KiTaG zugelassene Höchstzahl (in Kindergärten höchstens 25 Kinder) je Kind im Alter bis zu drei Jahren um einen Platz zu verringern (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 der 1. DVO-KiTaG).
…“
4
Für die Monate Oktober bis Dezember 2010 ergab sich eine Durchschnittsbelegung des Kindergartens von 37,33 Plätzen. Von den betreuten Kindern waren im Oktober und Dezember 2010 drei Kinder und im November 2010 vier Kinder unter drei Jahre alt.
5
Mit Schreiben vom 14. Februar 2011 teilte die Beklagte – nach Beteiligung des Personalrats und Beschluss des Verwaltungsausschusses – der Klägerin mit, dass sie mit Wirkung vom 1. Januar 2011 in die Entgeltgruppe S 7 TVöD-BT-V/VKA eingruppiert ist, da die für die Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA tariflich vorgesehene Durchschnittsbelegung im Referenzzeitraum nicht erreicht worden ist.
6
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr stehe über den 31. Dezember 2010 hinaus ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA zu. Bei der Ermittlung der Durchschnittsbelegung habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass einige der vergebenen Plätze mit Kindern im Alter von unter drei Jahren belegt worden seien, die erhöhten Platz- und Betreuungsbedarf hätten. Nach der niedersächsischen Verordnung über Mindestanforderungen an Kindertagesstätten vom 28. Juni 2002 würde jedes dieser Kinder doppelt zählen. Zudem sei die Entscheidung der Beklagten, Kinder unter drei Jahren aufzunehmen, eine von ihr zu verantwortende Maßnahme zur Qualitätsverbesserung im Sinne der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA, weshalb die Unterschreitung der Belegungsgröße des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA nicht zur Abgruppierung führen dürfe.
7
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr über den 31. Dezember 2010 hinaus Vergütung nach der Entgeltgruppe S 10 des Tarifvertrags für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst (Anhang zur Anlage C des TVöD/VKA) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus den rückständigen Bruttobeträgen seit ihrer jeweiligen Fälligkeit zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA bestehe nicht, da der von der Klägerin geleitete Kindergarten nicht die maßgebliche Durchschnittsbelegung im Referenzzeitraum erreicht habe. Eine Mehrfachberücksichtigung von Kindern unter drei Jahren sei tariflich nicht vorgesehen. Auch liege keine vom Arbeitgeber zu verantwortende Maßnahme vor, die zu einer Unterschreitung der Durchschnittsbelegung geführt habe.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
11
I. Die als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage (st. Rspr., ua. BAG 20. Juni 2012 – 4 AZR 304/10 – Rn. 16 mwN) ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA ab dem 1. Januar 2011.
12
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bereich der VKA Anwendung. Dabei richtet sich die Eingruppierung von Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst einer Kindereinrichtung als unselbständiger Teil der Gemeindeverwaltung gemäß § 56 TVöD – Besonderer Teil Verwaltung – (TVöD-BT-V) iVm. der dazugehörigen Anlage (Anlage zu Abschnitt VIII Sonderregelungen (VKA) § 56) nach den Merkmalen des Anhangs zur Anlage C (VKA). Abweichend von § 15 Abs. 2 TVöD erhalten diese Beschäftigten ein Entgelt nach der Anlage C, in die am 1. November 2009 nach den Vorgaben des § 28a TVÜ-VKA übergeleitet worden ist. Dabei ist, solange der TVöD in den §§ 12 und 13 noch keine eigenen Eingruppierungsregelungen enthält, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nach wie vor § 22 BAT anzuwenden (vgl. BAG 12. Dezember 2012 – 4 AZR 199/11 – Rn. 29 mwN).
13
2. In Anwendung der Eingruppierungsregelungen des TVöD-BT-V/VKA hat die Klägerin seit dem 1. Januar 2011 keinen Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA.
14
a) Die sich aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahme des TVöD-BT-V/VKA für das Arbeitsverhältnis der Parteien ergebenden einschlägigen Tarifnormen lauten:

„S 7

1.
Beschäftigte als Leiterinnen/Leiter von Kindertagesstätten.

(Hierzu Protokollerklärung Nr. 8)

S 10

1.
Beschäftigte als Leiterinnen/Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen.

(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 8 und 9)

Protokollerklärungen:

8.
Kindertagesstätten im Sinne dieses Tarifmerkmals sind Krippen, Kindergärten, Horte, Kinderbetreuungsstuben, Kinderhäuser und Kindertageseinrichtungen der örtlichen Kindererholungsfürsorge.

9.
Der Ermittlung der Durchschnittbelegung ist für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zahl der vom 1. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen, je Tag gleichzeitig belegbaren Plätzen zugrunde zu legen. Eine Unterschreitung der maßgeblichen je Tag gleichzeitig belegbaren Plätze von nicht mehr als 5 v.H. führt nicht zur Herabgruppierung. Eine Unterschreitung auf Grund vom Arbeitgeber verantworteter Maßnahmen (z.B. Qualitätsverbesserungen) führt ebenfalls nicht zur Herabgruppierung. Hiervon bleiben organisatorische Maßnahmen infolge demografischer Handlungsnotwendigkeiten unberührt.

…“

15
b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA ab dem 1. Januar 2011 nicht erfüllt, da der von ihr geleitete Kindergarten in S im maßgebenden Referenzzeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2010 auch unter Berücksichtigung des Abweichungsspielraums nach Nr. 9 Satz 2 der Protokollerklärung des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA mit einer um 6,67 vH unterhalb der Durchschnittsbelegung von 40 Plätzen liegenden Auslastung von 37,33 Plätzen nicht mehr zu den Kindertagesstätten der Entgeltgruppe S 10 TVöD-BT-V/VKA zählte. Nach den tariflichen Vorgaben (zu den Maßstäben der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, bspw. BAG 28. Januar 2009 – 4 ABR 92/07 – Rn. 26 mwN, BAGE 129, 238) ist allein die Anzahl der tatsächlich belegten Plätze maßgebend. Eine Mehrfachzählung von Kindern bestimmter Gruppen sieht die Tarifregelung nicht vor.
16
aa) Nach dem Tarifwortlaut knüpft die Entgeltstaffelung bei der Leitung von Kindertagesstätten – wozu nach der Protokollerklärung Nr. 8 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA der Kindergarten S ohne weiteres gehört – ausschließlich an die Zahl der vergebenen Plätze an, nämlich an die Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen. Zur Ermittlung dieser Durchschnittsbelegung zieht die Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA für das jeweilige Kalenderjahr die Zahl der gleichzeitig belegbaren Plätze im Referenzzeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Jahres, also des letzten Quartals des Vorjahres, heran. Dabei haben die Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA die „je Tag gleichzeitig belegbaren Plätze“ für die Berechnung zugrunde gelegt. Mit ihrer pauschalierten Betrachtungsweise gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, dass die Anforderungen an die Leitung einer Kindertagesstätte und damit die tarifliche Wertigkeit der maßgeblichen Tätigkeit steigen, je mehr Kinder in der Einrichtung gleichzeitig betreut werden (BAG 12. Dezember 2012 – 4 AZR 199/11 – Rn. 25; 4. April 2001 – 4 AZR 232/00 – BAGE 97, 251). Die Tarifregelung schließt damit nicht nur eine Doppelzählung der Plätze aus, die vormittags und nachmittags an andere Kinder vergeben werden, sondern auch eine fiktive, nicht auf die tatsächlich vergebenen Plätze abstellende Berechnung (für die Anzahl betreuter behinderter Kinder: BAG 4. April 2001 – 4 AZR 232/00 – zu I 4 a der Gründe, aaO).
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bb) Diese typisierende tarifliche Regelung verzichtet im Interesse der Klarheit und Handhabbarkeit der Eingruppierungsregelung darauf, bei der Bestimmung der maßgeblichen durchschnittlichen Belegungszahlen noch weitere sonstige Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. dazu BAG 19. März 2003 – 4 AZR 391/02 – zu I 1 e aa der Gründe, BAGE 105, 291). Weitere Kriterien, die sich auf die Eingruppierung der Leitung einer Kindertagesstätte auswirken können, beispielsweise die Zahl der unterstellten Mitarbeiter/innen, die Qualifikation der Leiterin/des Leiters, die Schwierigkeit der Tätigkeit, der Umfang der Verantwortung oder besonderer Belastungen, etwa aufgrund der Betreuung von behinderten Kindern, nennt die Tarifnorm nicht (zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien: BAG 4. April 2001 – 4 AZR 232/00 – zu I 8 b der Gründe, BAGE 97, 251; 12. Dezember 2012 – 4 AZR 199/11 – Rn. 25).
18
cc) Entgegen der Auffassung der Revision ändern auch abweichende Bemessungsmaßstäbe aus anderen – nicht tariflichen – Regelungen an dieser Berechnung nichts. Eine mögliche Doppelzählung nach der niedersächsischen Verordnung über Mindestanforderungen an Kindertagesstätten vom 28. Juni 2002, die ggf. zu einer „Doppelzählung“ von Kindern unter drei Jahren bei der Personalbemessung führt, lässt sich nicht auf die tariflichen Bewertungs- und Berechnungsmaßstäbe übertragen. Der tariflichen Bestimmung ist hierfür nichts zu entnehmen.
19
c) Es liegt auch keine unschädliche Unterschreitung der durchschnittlichen Belegungszahl iSd. Protokollerklärung Nr. 9 Satz 3 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA vor.
20
aa) Nach der Protokollerklärung Nr. 9 Satz 3 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA führt eine Unterschreitung aufgrund vom Arbeitgeber verantworteter Maßnahmen nicht zur Herabgruppierung. Als Beispiel nennt die Tarifregelung Qualitätsverbesserungen. Allerdings bleiben nach Satz 4 der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA hiervon organisatorische Maßnahmen infolge demografischer Handlungsnotwendigkeiten unberührt.
21
bb) Die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Unterschreitung der erforderlichen Durchschnittsbelegung Folge einer von der Beklagten zu verantwortenden Maßnahme, insbesondere einer solchen zur Qualitätsverbesserung, ist. Hierzu fehlt jeglicher substanziierter Vortrag. Dies gilt umso mehr, als die Betriebserlaubnis 50 belegbare Plätze ausweist. Die Klägerin hat nicht behauptet, dass aufgrund der Aufnahme von Kindern unter drei Jahren andere (weitere) Kinder abgelehnt worden sind und es deshalb im Referenzzeitraum lediglich zu einer Durchschnittsbelegung von 37,33 Plätzen gekommen ist. Die Aufnahme der Kinder unter drei Jahren sperrte nicht die weitere Aufnahme älterer Kinder. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung des Hinweises Nr. 2 der Betriebserlaubnis vom 1. Juli 2010. Die danach erforderliche Begrenzung der Höchstzahl von Kindern pro Gruppe bei Aufnahme von Kindern unter drei Jahren hat selbst im Monat November 2010 bei vier Kindern unter drei Jahren – für die dann jeweils die Gruppenstärke um einen Platz zu verringern gewesen wäre – nicht zu einer Belegung aller vorhandenen Plätze geführt. Vielmehr sind weiterhin mehr als acht Plätze unbelegt geblieben. Deshalb wären nach wie vor ausreichend Plätze zur Aufnahme weiterer Kinder – bis zum Erreichen des tariflichen Schwellenwerts von 40 Kindern – vorhanden gewesen.
22
3. Für Klagezeiträume ab dem 1. Januar 2012 sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht dargetan. Die Klägerin hat schon nicht zur Belegung in dem jeweiligen (weiteren) Referenzzeitraum vorgetragen.
23
II. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Eylert

Creutzfeldt

Winter

Kiefer

Bredendiek