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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 10.7.2012, 9 AZR 11/11

eingetragen von Thilo Schwirtz am April 2nd, 2013

Verfall des Urlaubs – Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Oktober 2010 – 17 Sa 379/10 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten noch über die Pflicht der Beklagten, der Klägerin gesetzlichen Mindesturlaub nach dem BUrlG aus den Jahren 2006 und 2007 mit einer Dauer von insgesamt 36 Urlaubstagen zu gewähren.
2
Die Klägerin ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. August 1972 beschäftigt, zuletzt als Mitarbeiterin im „Com-Center“. Ihr Stellenanteil beträgt 75 % einer Vollzeitmitarbeiterin. Die Arbeitszeit verteilte sich auf zwölf Nachtdienste monatlich. Die Parteien wenden auf ihr Arbeitsverhältnis den Bundes-Angestelltentarifvertrag in kirchlicher Fassung (BAT-KF) an.Die Klägerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. In der Zeit vom 15. September 2005 bis zum 1. Juli 2008 war sie fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt. Sie machte gegenüber der Beklagten unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom 2. Juli 2008 geltend, sie sei arbeitsfähig mit Ausnahme des Einsatzes im Nachtdienst auf chirurgischen und internistischen Stationen. Da die Beklagte die Arbeitsfähigkeit der Klägerin bestritt und sie nicht einsetzte, machte die Klägerin die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 2. Juli bis zum 30. September 2008 geltend. In einem vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (- 17 Sa 1045/09 -) geschlossenen gerichtlichen Vergleich vom 8. Dezember 2009 einigten sich die Parteien darauf, dass für die Klägerin vom 1. Juli 2008 bis zur Vorlage des Attests des Betriebsarzts vom 26. August 2008 keine Beschäftigungsmöglichkeit bestand. Für die Zeit vom 26. August bis zum 30. September 2008 verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung von 1.500,00 Euro „zum Ausgleich eventueller Ansprüche auf Annahmeverzugslohn“.
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In der Zeit vom 1. Oktober bis zum 30. November 2008 fand eine stufenweise Wiedereingliederung der Klägerin statt. Ab dem 1. Dezember 2008 arbeitete sie zunächst in der Verwaltung (Archiv) und ab dem 1. Juli 2009 im „Com-Center“. In der Zeit vom 9. Dezember bis zum 14. Dezember 2008 war sie arbeitsunfähig. Im Jahr 2008 nahm die Klägerin keinen Urlaub. Der Urlaub für das Jahr 2008 wurde auf das Jahr 2009 übertragen und bis zum 31. März 2009 gewährt.
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In einem Schreiben vom 26. Januar 2009, das die Klägerin an die Beklagte richtete, heißt es ua.:
Urlaubsanspruch
Sehr geehrter Herr P,
aus gegebenen Anlass (Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Anlage) teilen Sie mir bitte schriftlich mit, wie viel Tage erworbenen bezahlten Urlaubsanspruch aus welchen Zeiträumen meines Beschäftigungsverhältnisses ich noch habe.
Ferner, welchen Urlaub seit Beginn meiner Archivtätigkeit ich davon verbraucht habe und bis wann ich den noch offenen Urlaubsanspruch als Urlaub jeweils genommen haben muss.“
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In einem handschriftlichen Vermerk auf diesem Schreiben heißt es:
„Das Urteil bezieht sich auf AN, die mit Arbeitsunfähigkeit aus dem … ausscheiden!!“
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Am 9. Februar 2009 fragte die Klägerin den Personalsachbearbeiter der Beklagten Herrn P in einem Telefonat, ob ihr für die Jahre 2006 und 2007 Urlaub zustände und wie viele Tage dies seien. Herr P teilte ihr mit, dass sie keinen Urlaubsanspruch habe, und lehnte es ab, der Klägerin dies schriftlich zu bestätigen. Erstmalig mit Schreiben einer Rechtssekretärin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Bezirk D, vom 2. März 2009 machte die Klägerin Resturlaubstage aus dem Jahr 2005 geltend. Mit einem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 9. Oktober 2009 machte die Klägerin ihren noch ausstehenden Urlaub aus den Jahren 2006 und 2007 geltend. In dem Schreiben heißt es ua.:
„Ergänzend zur Klageforderung wird auch der ausstehende Jahresurlaub aus den Jahren 2006 und 2007 gemäß §§ 25 ff. BAT-KF, welcher wegen der Arbeitsunfähigkeit von Frau S in den jeweiligen Urlaubsjahren nicht gewährt werden konnte und nach der neuen Rechtsprechung aber auch nicht verfallen ist, hiermit geltend gemacht.“
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§ 25 BAT-KF vom 22. Oktober 2007 in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (BAT-KF aF)lautet auszugsweise:
„§ 25
Erholungsurlaub
(1) Die Mitarbeitenden haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts. Bei der Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr
bis zum vollendeten 30. Lebensjahr
26 Arbeitstage,
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr
29 Arbeitstage,
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr
30 Arbeitstage.
… Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt werden und kann auch in Teilen genommen werden. …
(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:
a) Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden.
…“
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Die Klägerin errechnet ihren Urlaub wie folgt:
24 Tage jährlicher gesetzlicher Mindesturlaub x 7 Stunden = 168 Stunden.
168 Stunden : 100 x 75 = 126 Stunden.
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Aus diesen 126 Stunden jährlich errechnet die Klägerin für die Jahre 2006 und 2007 36 Tage gesetzlichen Mindesturlaub.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Urlaub für die Jahre 2006 und 2007 sei nicht verfallen, da sie arbeitsunfähig gewesen sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie möglicherweise einige Urlaubstage im Dezember 2008 und im Übertragungszeitraum 2009 hätte nehmen können. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sei so auszulegen, dass er einer Regelung im nationalen Recht entgegenstehe, wonach Urlaubsansprüche aus den Vorjahren, die aufgrund von Krankheit nicht hätten genommen werden können, bis zum Ende des Kalenderjahres genommen werden müssten, in dem – ggf. erst kurz vor Ende des Kalenderjahres – die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt sei. Zudem hätte die Klägerin im Dezember 2008 außerhalb ihrer Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen des Urlaubs des Kollegen Herrn W, den sie hätte vertreten müssen, Urlaub nicht antreten können. Eine Geltendmachung wäre auch ins Leere gegangen, da die Beklagte den Urlaub ohnehin nicht hätte erfüllen wollen. Das Landesarbeitsgericht habe das Gespräch vom 9. Februar 2009 fehlerhaft ausgelegt und zu hohe Anforderungen an die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen gestellt. Der Personalsachbearbeiter Herr P habe ihr im Gespräch am 9. Februar 2009 erklärt, dass ihr Anspruch auf Alturlaub aus den Jahren 2006 und 2007 nicht mehr bestehe. Damit habe er sie von der Geltendmachung des Urlaubsanspruchs abgehalten. Zumindest habe sie deshalb einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihr aus den Jahren 2006 und 2007 weitere 36 Urlaubstage zustehen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihr aus den Jahren 2006 und 2007 weitere 36 Urlaubstage zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sei meint, der Feststellungsantrag sei schon nicht zulässig. Etwaige Resturlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2006 und 2007 seien gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Der Arbeitnehmer, der kurz vor Ende des Kalenderjahres arbeitsfähig werde, müsse seinen Alturlaub in diesem Jahr, spätestens aber im Übertragungszeitraum beantragen und nehmen. Nach richtiger Berechnung hätte die Klägerin ohnehin nur Anspruch auf 22,08 Urlaubstage für die Jahre 2006 und 2007. Sie hätte zudem im Jahr 2008 noch 15 Arbeitstage Urlaub nehmen können. Der Urlaub des Mitarbeiters Herrn W hätte dem nicht entgegengestanden.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision ihre Klageansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

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A. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ihr aus den Jahren 2006 und 2007 noch weitere 36 Urlaubstage zustehen. Ebenso ist auch der Leistungsantrag auf Nachgewährung des Urlaubs unbegründet.
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I. Die Feststellungsklage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, ob ihr für die Jahre 2006 und 2007 noch Urlaub zusteht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die Feststellungsklage ist nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig (vgl. grundlegend BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 13 bis 15, AP BUrlG § 7 Nr. 50 = EzA BUrlG § 7 Nr. 123).
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II. Die Klage ist insgesamt (Feststellungs- und hilfsweise Leistungsklage) unbegründet. Der Klägerin stehen keine Urlaubsansprüche aus den Jahren 2006 und 2007 mehr zu.
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1. Der 2006 und 2007 entstandene und nicht erfüllte Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub ist entgegen der Auffassung der Revision nach § 25 Abs. 2 Buchst. a BAT-KF aF spätestens mit dem 31. März 2009 untergegangen. Die Klägerin hätte ihren aus den Jahren 2006 und 2007 resultierenden Urlaub zumindest im ersten Quartal des Jahres 2009 gemäß § 25 Abs. 2 Buchst. a BAT-KF aF antreten können und müssen. Sie war spätestens seit Mitte Dezember 2008 wieder arbeitsfähig. Es kommt nicht darauf an, ob, wie die Klägerin behauptet, betriebliche Gründe, nämlich die Vertretung des Mitarbeiters Herrn W einer Urlaubsgewährung im Dezember 2008 entgegenstanden. Solche Hinderungsgründe bestanden im ersten Quartal des Jahres 2009 nicht mehr. Die Klägerin hat deshalb auch keinen Anspruch auf noch zu gewährenden Ersatzurlaub nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob sie ihren Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub zutreffend errechnet hat und die Urlaubsansprüche nicht bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2008 gemäß § 25 Abs. 1 Satz 7 BAT-KF aF teilweise verfallen sind.
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a) Vorbehaltlich abweichender arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub grundsätzlich befristet. Sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG gegeben ist, verfällt der bis zum Ende des Urlaubsjahres nicht genommene Urlaub. Bei Vorliegen eines Übertragungsgrundes ist dies spätestens mit dem Ende des Übertragungszeitraums der Fall. Dies gilt für den gesetzlichen Mindesturlaub nicht in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubsnahme gehindert ist (vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 47 ff., BAGE 130, 119). § 25 BAT-KF aF stellt die „Mitarbeitenden“ im Vergleich zu § 7 Abs. 3 BUrlG besser. Der Urlaub muss im Übertragungszeitraum der ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres nicht gewährt und genommen werden. Es genügt, dass er angetreten wird.
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b) Dauert das krankheitsbedingte Hindernis für die Inanspruchnahme des Urlaubs an oder tritt ein neues in § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG geregeltes Hindernis – dringende betriebliche oder personenbedingte Gründe – an dessen Stelle, so bleibt der Urlaubsanspruch durch weitere Übertragungen erhalten, es sei denn, eine aus unionsrechtskonformer Auslegung bzw. Rechtsfortbildung abzuleitende Begrenzung der Höchstübertragungsdauer greift ein (vgl. hierzu EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 41 ff., AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7).
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c) Soweit infolge des krankheitsbedingten Hindernisses der Urlaub fortbesteht, ist er nicht aus dem Fristenregime des BUrlG oder eines maßgeblichen Tarifvertrags dauerhaft herausgenommen. Der wegen der mangelnden Möglichkeit der Inanspruchnahme infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum des ersten Quartals des Folgejahres hinaus fortbestehende Urlaubsanspruch unterfällt, sobald die Arbeitsunfähigkeit als Erfüllungshindernis des Urlaubsanspruchs wegfällt, erneut dem gesetzlichen oder tarifvertraglichen Fristenregime (BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 36, AP BUrlG § 7 Nr. 50 = EzA BUrlG § 7 Nr. 123). Er tritt dem am 1. Januar des Urlaubsjahres neu erworbenen Urlaubsanspruch hinzu und unterliegt dann dessen Fristenregime. Der Urlaub erlischt deshalb trotz lang andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er im aktuellen Urlaubsjahr oder spätestens während dessen Übertragungszeitraum seinen Urlaub nehmen kann (vgl. BAG 9. August 2011 – 9 AZR 425/10 – Rn. 19 f., AP BUrlG § 7 Nr. 52 = EzA BUrlG § 7 Nr. 125). Damit unterfiel der Urlaub aus den Jahren 2006 und 2007 dem Fristenregime des Urlaubsjahres 2008, denn die Klägerin wurde jedenfalls im Dezember 2008 wieder arbeitsfähig. Sie hätte diesen Urlaub gemäß § 25 Abs. 2 Buchst. a BAT-KF aF spätestens am 31. März 2009 antreten können und müssen.
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d) Entgegen der Auffassung der Revision steht dem nicht entgegen, dass die Auswahl der Lage des Urlaubs damit für den Arbeitnehmer zeitlich eingeschränkt sein kann, etwa weil der in den Jahren 2006 und 2007 angesammelte Urlaub – wie hier – im Übertragungszeitraum und damit bis zum 31. März 2009 angetreten werden musste. Der Senat kann dies entscheiden, ohne dem EuGH eine entsprechende Frage zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) vorzulegen.
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aa) Nach Art. 267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Handlungen der Organe, mithin auch über die Auslegung von Richtlinien (vgl. ErfK/Wißmann 12. Aufl. Art. 267 AEUV Rn. 10). Eine Vorlage kommt nur in Betracht, wenn die Frage des Unionsrechts nach Auffassung des vorlegenden Gerichts für dessen Entscheidung erforderlich ist. Es ist allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für seine Entscheidung als auch die Erheblichkeit der dem EuGH ggf. vorzulegenden Fragen zu beurteilen (vgl. EuGH 18. Dezember 2007 – C-341/05 – [Laval] Rn. 45 mwN, Slg. 2007, I-11767; BAG 13. Dezember 2011 – 9 AZR 399/10 – Rn. 23, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20). Eine Vorlage ist ua. nicht erforderlich, wenn der EuGH die entscheidungserheblichen Fragen bereits geklärt hat (BVerfG 29. Mai 2012 – 1 BvR 3201/11 – Rn. 22, ZIP 2012, 1876).
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bb) Das ist hier der Fall. Der EuGH hat festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen. Dieser grundsätzlichen Feststellung hat der EuGH die Voraussetzung hinzugefügt, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 26, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7; 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179). Unionsrecht steht der zeitlichen Befristung des Urlaubsanspruchs damit nicht entgegen, sofern der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, den Urlaubsanspruch vor dem Ende des Übertragungszeitraums zu realisieren. Der EuGH hält eine nationale Regelung, die einen Übertragungszeitraum für den am Ende des Bezugszeitraums nicht genommenen Jahresurlaub vorsieht, für zulässig. Denn sie eröffnet einem Arbeitnehmer, der daran gehindert war, seinen Jahresurlaub zu nehmen, eine zusätzliche Möglichkeit, in den Genuss des Urlaubs zu kommen. Die Regelung darf grundsätzlich auch den Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Bezugs- oder Übertragungszeitraums beinhalten. Der EuGH billigt damit grundsätzlich den Regelungszweck des § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG, den Arbeitnehmer durch den drohenden Verlust des Urlaubsanspruchs anzuhalten, den Urlaub als Unterbrechung der Arbeit möglichst im laufenden Jahr zu nehmen oder – soweit dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht möglich ist – den zeitlichen Abstand zum Urlaubsjahr gering zu halten (Düwell NZA Beilage 3/2011, 133, 138). Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dient damit sowohl der Sicherheit als auch der Gesundheit des Arbeitnehmers. Dieses Regelungsziel erfordert eine zeitnahe Inanspruchnahme des Urlaubs. Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Urlaubsjahr und der Urlaubsgewährung ist, desto größer ist die Gefahr, dass der Zweck des Urlaubs verfehlt wird. Eine Ausnahme ist – unter weiteren Voraussetzungen – lediglich in den Fällen angebracht, in denen die in § 7 Abs. 3 BUrlG bestimmten Fristen nicht ausreichen, um den durch Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Gesamturlaub als Summe aus dem alten und neuen Urlaub tatsächlich zu nehmen (vgl. EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06und C-520/06 – [Schultz-Hoff] aaO; BAG 9. August 2011 – 9 AZR 425/10 – Rn. 22, AP BUrlG § 7 Nr. 52 = EzA BUrlG § 7 Nr. 125).
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cc) Dem steht nicht entgegen, dass der EuGH für die Dauer des Übertragungszeitraums verlangt, dieser müsse dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gewährleisten, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden sowie verfügbar sein können (EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 41, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 8 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9; 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 38, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Der EuGH ist damit nicht von seiner Rechtsprechung abgewichen, die in § 7 Abs. 3 BUrlG bestimmten Fristen müssten ausreichen, um den durch Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten Gesamturlaub als Summe aus dem alten und neuen Urlaub tatsächlich nehmen zu können (vgl. EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179). Er hat lediglich begründet, weshalb innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, zeitlich beschränken dürfen (EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 44, aaO).
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dd) Zudem hat der EuGH angenommen, dass nach einem Zeitraum von 15 Monaten ab dem Ende des Urlaubsjahres die positive Wirkung des Urlaubs für den Arbeitnehmer als Erholungszeit entfalle und der Urlaubsanspruch deshalb untergehen könne (EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 33 und 35, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Ein solcher Urlaubsanspruch bedürfe nicht mehr des Schutzes von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Europarechtliche Vorgaben stehen deshalb dem Verfall der streitgegenständlichen, aus den Jahren 2006 und 2007 resultierenden Urlaubsansprüche zum 31. März 2009 gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG und § 25 Abs. 2 Buchst. a BAT-KF aF nicht entgegen. Zum 31. März 2009 war die Frist von 15 Monaten für den hier geltend gemachten Urlaub spätestens abgelaufen.
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2. Der Klägerin steht wegen des mit Ablauf des 31. März 2009 verfallenen Urlaubs auch kein Ersatzurlaub nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB zu. Denn sie hat vor dem Zeitpunkt des Verfalls nicht von der Beklagten verlangt, ihr den Urlaub zu gewähren.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin weder mit Schreiben vom 26. Januar 2009 noch während des Telefonats vom 9. Februar 2009 Urlaub verlangt hat. Es hat diese Auslegung damit begründet, der Wortlaut des Schreibens enthalte keine Aufforderung an die Beklagte, den Urlaub nunmehr festzulegen. Im Gespräch am 9. Februar 2009 habe sie nur Auskunft verlangt.
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b) Diese Auslegung greift die Revision nicht an. Sie meint lediglich, das Landesarbeitsgericht stelle zu hohe Anforderungen an die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen. Die Beklagte habe deutlich gemacht, dass sie die Urlaubsansprüche von vornherein „gar nicht“ hätte erfüllen wollen. Eine Geltendmachung der Klägerin wäre deshalb ins Leere gegangen und überflüssig gewesen.
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c) Das trifft nicht zu. Zwar wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt (§ 280 Abs. 1, § 286Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB).
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aa) An die Annahme, der Schuldner verweigere ernsthaft und endgültig die Erfüllung einer ihm obliegenden Leistung, sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine Erfüllungsverweigerung liegt nur vor, wenn der Schuldner unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten unter keinen Umständen nachkommen. Es müssen deshalb Umstände vorliegen, die es ausgeschlossen erscheinen lassen, dass er sich von einer Fristsetzung hätte umstimmen lassen. Das ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn er sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen (BAG 13. Dezember 2011 – 9 AZR 420/10 – Rn. 44).
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bb) Der Personalsachbearbeiter der Beklagten Herr P teilte der Klägerin im Telefonat am 9. Februar 2009 lediglich seine Rechtsauffassung über das rechtliche Schicksal der Urlaubsansprüche aus den Jahren 2006 und 2007 mit. Die Klägerin trägt hierzu selbst vor, er habe die Rechtmäßigkeit des Urlaubsanspruchs geleugnet. Eine Auskunftserteilung ist aber keine beharrliche Leistungsverweigerung.
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3. Der Klägerin stehen auch keine Schadensersatzansprüche zu, weil der Personalsachbearbeiter Herr P ihr hinsichtlich der Urlaubsansprüche für die Jahre 2006 und 2007 eine falsche Auskunft erteilt haben soll.
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a) Aus einem Schuldverhältnis erwachsen einer Vertragspartei nach § 241 Abs. 2 BGB nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils. Jedem Arbeitsverhältnis wohnt die Nebenpflicht des Arbeitgebers inne, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner sowie der anderen Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Diese Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers auf die Rechte und Rechtsgüter der Arbeitnehmer gilt für alle schutzwürdigen Interessen, so auch für Vermögensinteressen (BAG 27. Januar 2011 – 8 AZR 280/09 – Rn. 37, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 44). Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmern weder falsche noch unvollständige Auskünfte erteilen (BAG 14. Januar 2009 – 3 AZR 71/07 – Rn. 27AP BetrAVG § 1 Auskunft Nr. 7). Grundsätzlich hat jeder Vertragspartner selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen. Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze jedoch in dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners. Wo diese Grenze liegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls und mittels einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind insbesondere das erkennbare Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits zu beachten und gegeneinander abzuwägen (BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 161/08 – Rn. 28, AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 7).
34
b) Nach diesen Grundsätzen kommen keine Schadensersatzansprüche der Klägerin in Betracht. Es ist schon fraglich, ob die Klägerin sich auf die Auskunft des Personalsachbearbeiters Herrn P hinsichtlich ihrer Urlaubsansprüche im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Slg. 2009, I-179) hätte verlassen dürfen. Die Umsetzung dieser Entscheidung auf Arbeitsverhältnisse mit Arbeitgebern des Privatrechts war im Februar 2009 noch vollkommen offen und ungeklärt. Aus dem handschriftlichen Vermerk folgt, dass der Personalsachbearbeiter Herr P davon ausging, die Entscheidung des EuGH beziehe sich nur auf den Abgeltungsanspruch.
35
Zumindest trifft die Klägerin aber ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden iSd. § 254 Abs. 1 BGB. Die Klägerin ließ sich Anfang März 2009 von der Rechtsabteilung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Bezirk D, hinsichtlich ihrer Urlaubsansprüche beraten. Diese machte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 2. März 2009 aber nur die Resturlaubstage aus dem Jahr 2005 geltend. Es ist unerheblich, ob dies daran lag, dass die Klägerin insoweit bei ver.di keine Rechtsauskunft eingeholt hat, oder daran, dass ver.di versehentlich oder bewusst eine entsprechende Geltendmachung für den Urlaub aus den Jahren 2006 und 2007 unterlassen hat. Es handelt sich in beiden Fällen um einen der Klägerin zuzurechnenden erheblichen Verstoß gegen die eigenen Sorgfaltspflichten, der eine Haftung der Beklagten ausschließt. Dieser Verstoß war auch kausal. Die Klägerin hätte im März 2009 ihren Urlaub aus den Jahren 2006 und 2007 noch antreten können.
36
B. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Brühler
Klose
Krasshöfer
Martin Lücke
Kranzusch