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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 19.12.2012, 1 AZB 72/12

eingetragen von Thilo Schwirtz am April 30th, 2013

DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit ist tariffähig

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gewährt.

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 20. März 2012 – 22 Sa 71/11 – aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.717,92 Euro festgesetzt.

Gründe

1
A. Der Kläger war bei der Beklagten vom 8. August 2005 bis zum 31. August 2009 als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war die Anwendung der zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen e.V. (BZA) und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit geschlossenen Branchentarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgelttarif- und Entgeltrahmentarifvertrag) in ihrer jeweils gültigen Fassung vereinbart. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Differenzlohnansprüche gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG geltend.
2
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Berufungsverfahren durch einen am 20. März 2012 verkündeten Beschluss bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines Beschlussverfahrens „über die Frage der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit aller der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Einzelgewerkschaften in den streitgegenständlichen Zeiträumen“ ausgesetzt und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
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Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Mai 2012 zugegangen. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 hat er Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde des Klägers beantragt. Der Senat hat dem mit Beschluss vom 11. Oktober 2012, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Oktober 2012 zugestellt, entsprochen. Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2012 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich begründet sowie wegen Versäumung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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B. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht  78 Satz 1 ArbGG iVm. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, §§ 575, 233 ff., § 576 Abs. 3 ZPO).
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I. Dem Kläger ist gemäß § 233 ZPO wegen Versäumung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
6
1. Ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer die Frist wahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (BGH 27. November 2007 – VI ZB 81/06 – Rn. 14, FamRZ 2008, 400). Für die Entscheidung, ob der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, kommt es ausschließlich darauf an, ob sie sich für bedürftig halten durfte.
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2. Im Streitfall musste der Kläger nicht mit einer Ablehnung seines innerhalb der Frist des § 575 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO gestellten Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit für das Rechtsbeschwerdeverfahren rechnen, da ihm auch schon im zweiten Rechtszug durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. Oktober 2011 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bewilligt worden ist. Der Hinderungsgrund für die Einhaltung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ist frühestens mit der Zustellung des die Prozesskostenhilfe bewilligenden Senatsbeschlusses am 19. Oktober 2012 weggefallen. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Schriftsatz vom 24. Oktober 2012 sind danach in der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt worden und entsprechen der Form des § 236 ZPO.
8
II. Das Landesarbeitsgericht hat das Berufungsverfahren zu Unrecht ausgesetzt.
9
1. Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist. Über die für die Ordnung des Arbeitslebens bedeutsame Eigenschaft der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung soll in einem objektivierten Verfahren, in dem die jeweils beteiligten Personen und Stellen anzuhören sind (§ 97 Abs. 2 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG), einheitlich mit Wirkung gegenüber jedermann entschieden werden. Zu den formellen Voraussetzungen eines Aussetzungsbeschlusses, der die Grundlage für das nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG einzuleitende Beschlussverfahren bildet, gehört die Begründung der Entscheidungserheblichkeit der vorgenannten Eigenschaften.
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2. Der angefochtene Beschluss ist schon deshalb aufzuheben, weil der Zeitpunkt nicht erkennbar wird, für den das Vorliegen der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften festgestellt werden soll. Daneben hat das Landesarbeitsgericht weder die Entscheidungserheblichkeit der von ihm als maßgeblich angesehenen Vorfragen noch die Klärungsbedürftigkeit der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit aller in der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften ausreichend begründet.
11
a) Das aussetzende Gericht hat im Aussetzungsbeschluss nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG den Zeitpunkt, zu dem die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften vorliegen müssen, anzugeben. Unzureichend ist es, wenn im Tenor oder in den Gründen nur die Dauer des Arbeitsverhältnisses angegeben wird und auf die in diesem Zeitraum geltenden Tarifverträge verwiesen wird. Vielmehr ist das Abschlussdatum des für entscheidungserheblich angesehenen Tarifvertrags konkret zu bezeichnen, da sich in dem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Antragsbefugnis der Parteien des Ausgangsrechtsstreits für die Klärung der dort genannten Eigenschaften nach dem im Aussetzungsbeschluss angeführten Zeitpunkt bestimmt (BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 6, EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 12).
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An einer solchen Darlegung fehlt es. Der angefochtene Beschluss lässt nicht erkennen, welche Tarifverträge vom Landesarbeitsgericht als entscheidungserheblich angesehen werden. Der Kläger war bei der H AG vom 8. August 2005 bis zum 31. August 2009 als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Daher hätte es Ausführungen des Landesarbeitsgerichts dazu bedurft, welche der in seinen Beschlussgründen angeführten Vereinbarungen es für die Entscheidung über die erhobene Klage als maßgeblich ansieht.
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b) Die Entscheidungserheblichkeit iSd. § 97 Abs. 5 ArbGG liegt nur vor, wenn der prozessuale Anspruch der klagenden Partei allein von der Geltung einer bestimmten Kollektivvereinbarung als Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG abhängt. Eine Aussetzung hat deshalb zu unterbleiben, wenn über den erhobenen Anspruch ohne die Klärung der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften entschieden werden kann (vgl. BAG 28. Januar 2008 – 3 AZB 30/07 – Rn. 10, AP ArbGG 1979 § 97 Nr. 17 = EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 9). Dies setzt eine vorherige Prüfung der Schlüssigkeit und der Erheblichkeit des Parteivorbringens in Bezug auf die Klageforderung ebenso voraus wie die Durchführung einer ggf. notwendigen Beweisaufnahme. Die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch darf nur noch vom Vorliegen der Tariffähigkeit oder der Tarifzuständigkeit der Vereinigung abhängen. Im Aussetzungsbeschluss ist daher zu begründen, dass und in welchem Umfang die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften für den erhobenen prozessualen Anspruch von Bedeutung sind (BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 5, EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 12). Hieran fehlt es. Das Landesarbeitsgericht ist in seiner Aussetzungsentscheidung nicht darauf eingegangen, ob und ggf. in welchem Umfang der Erfolg der Klage vom Vorliegen der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften abhängt.
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c) Die Aussetzung eines Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG darf nur erfolgen, wenn zumindest eine der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften einer Vereinigung aufgrund vernünftiger Zweifel am Vorliegen dieser Eigenschaften streitig ist, wobei im Arbeitsleben geäußerte Vorbehalte zu berücksichtigen und vom Arbeitsgericht aufzugreifen sind (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn. 59, BAGE 136, 302). Danach ist der Ausgangsrechtsstreit nicht schon dann auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nur von einer Partei ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen in Frage gestellt wird (vgl. BAG 24. Juli 2012 – 1 AZB 47/11 – Rn. 9, EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 12).
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Das Landesarbeitsgericht hat nach den Beschlussgründen seine Aussetzungsentscheidung lediglich darauf gestützt, dass der Kläger die Wirksamkeit der „maßgeblichen Entgelttarifverträge“ bestritten hat. Dies ist vorliegend nicht ausreichend, weil nicht ersichtlich ist, dass an der Tariffähigkeit der Mitgliedsgewerkschaften der „DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit“ vernünftige Zweifel bestehen. Ebenso hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidungserheblichkeit der Tarifzuständigkeit der an den Entgelttarifverträgen beteiligten Gewerkschaften nicht näher begründet.
Schmidt
Linck
Koch