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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 18.6.2015, 8 AZN 881/14

eingetragen von admin am Juli 14th, 2016

Ordnungswidrige Besetzung des Gerichts – Abordnung eines Richters

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. August 2014 – 7 Sa 121/14 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 188.838,20 Euro festgesetzt.
Gründe

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I. Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. An der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom 1. August 2014 hat Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T als Vorsitzender mitgewirkt, der das anzufechtende Urteil auch unterschrieben hat. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht. Sie hat ua. gerügt, es liege der Beschwerdegrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Ihr Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG auf den gesetzlichen Richter sei verletzt. Die Mitwirkung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T in der erkennenden Kammer des Landesarbeitsgerichts führe zu deren ordnungswidriger Besetzung, da seine Abordnung nicht den in der Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung sei weder zur Erprobung erfolgt noch wegen einer nicht vorhersehbaren Überlastung des Landesarbeitsgerichts.
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II. Die Besetzungsrüge ist begründet. Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts liegt vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
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1. Die Verfahrensrüge ist zulässig. Die Beklagte hat die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landesarbeitsgerichts, die sie bereits ohne Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht gerügt hatte, innerhalb der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerde unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß erhoben. Einer Darlegung, dass das Berufungsurteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht, bedurfte es nicht, weil das Gesetz davon ausgeht, dass in einem solchen Fall die Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend angesehen wird (§ 547 Nr. 1 ZPO).
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2. Die Verfahrensrüge ist begründet.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 13. November 1997 – 2 BvR 2269/93 -; 23. Januar 1996 – 1 BvR 1551/95 -; 8. Juli 1992 – 2 BvL 27/91, 2 BvL 31/91 – zu C III 2 a der Gründe mwN, BVerfGE 87, 68; 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I der Gründe, BVerGE 14, 156), des Bundesgerichtshofs (ua. BGH 16. März 2005 – RiZ (R) 2/04 – zu II 2 b der Gründe, BGHZ 162, 333; 13. Juli 1995 – V ZB 6/94 – zu III 1 b aa der Gründe, BGHZ 130, 304; 5. Juni 1985 – VIII ZR 135/84 – zu II 2 der Gründe, BGHZ 95, 22; 15. November 1956 – III ZR 84/55 – BGHZ 22, 142, 145), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 23. August 1996 – 8 C 19.95 – BVerwGE 102, 7) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 – Rn. 34, BAGE 123, 46; 25. März 1971 – 2 AZR 187/70 -) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).
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Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken. Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln. Das Grundgesetz beschränkt eine solche Verwendung auf das zwingend gebotene Maß (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).
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Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung (BVerfG 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – Rn. 7 mwN; 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – Rn. 7 mwN; 13. November 1997 – 2 BvR 2269/93 -; 23. Januar 1996 – 1 BvR 1551/95 -; 9. November 1955 – 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52 – zu IV 2 b der Gründe, BVerfGE 4, 331).
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Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156).
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b) Danach war, wie sich aus der vom Revisionsgericht eingeholten dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts ergibt, die Kammer 7 des Landesarbeitsgerichts im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2014 sowie im Verkündungstermin am 29. August 2014, in dem das anzufechtende Urteil ergangen ist, nicht ordnungsgemäß besetzt.
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aa) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht hervor, dass das Sächsische Landesarbeitsgericht grundsätzlich nach den Berechnungen des Personalbedarfsberechnungssystems (PEBB§Y) mit sieben Vorsitzenden einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten ausreichend besetzt ist. Die Geschäftsverteilungspläne 2007 bis 2014 weisen dementsprechend bei neun Kammern jeweils mindestens sieben als planmäßig mit Vorsitzenden Richtern/Richterinnen besetzte Kammern aus. Danach spricht nichts dafür, dass die Arbeitslast des Landesarbeitsgerichts im Geschäftsverteilungszeitraum 2014 wegen fehlender oder offener Planstellen nicht bewältigt werden konnte und die hier zu beurteilende Abordnung vor dem Hintergrund eines derartigen Mangels aufzufassen wäre.
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bb) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht weiter hervor, dass Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2013 mit seiner vollen Arbeitskraft (1,0 AKA) an das Sächsische Landesarbeitsgericht abgeordnet war. Seine Abordnung wurde zum 1. Januar 2014 zunächst bis zum 31. Dezember 2014 mit seiner halben Arbeitskraft (0,5 AKA) verlängert. Im Übrigen (0,5 AKA) nimmt er seine Aufgaben als ständiger Vertreter des Direktors beim Arbeitsgericht C wahr. Aus dem Geschäftsverteilungsplan 2015 ergibt sich, dass eine weitere Verlängerung mit halber Arbeitskraft (0,5 AKA) bis zum 31. Dezember 2015 erfolgt ist.
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Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T war nach den jährlichen Geschäftsverteilungsplänen 2013 bis 2014 und den dazu ergangenen Änderungsbeschlüssen zunächst der Kammer 7 zugeordnet, mit Wirkung vom 6. September 2013 (auch) der Kammer 8, in den Jahren 2014 und 2015 der Kammer 7.
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In der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts heißt es: „Die Reduzierung der Arbeitsanteile des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T zum 1. Januar 2014 erfolgte, um zeitgleich auch der Richterin am Arbeitsgericht M eine Erprobungsabordnung zu ermöglichen.“ Die Abordnung der Richterin am Arbeitsgericht M zur Erprobung erfolgte laut der dienstlichen Auskunft für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2015. Weiter heißt es in der dienstlichen Auskunft: „Die Abordnung des Herrn T erfolgte ebenfalls zur Erprobung. Jedenfalls ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, so dass Herrn Ts Abordnung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht zu 0,5 AKA nochmals verlängert wurde.“ Dazu heißt es, ab April 2014 habe sich eine unvorhergesehene Überbelastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts abgezeichnet, weil zwei Vorsitzende krankheitsbedingt auszufallen drohten, was bei nur sieben Vorsitzenden Richterstellen nicht durch die Vertreter ausgeglichen werden könne. Vor diesem Hintergrund sei die „weitere Abordnung des Herrn T unabdingbar gewesen“. Allerdings hätten sich die Befürchtungen längerfristiger Ausfälle der beiden Kollegen bis zum Jahresende 2014 als unbegründet erwiesen. An anderer Stelle heißt es, Herrn T, der aufgrund seiner positiven Entwicklung für eine Stelle als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht in Betracht komme, „sollte die Möglichkeit der Erprobung, insbesondere einer weiteren Bewährung in der zweiten Instanz gegeben werden.“
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cc) Zwingende Gründe für einen Einsatz des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T am Sächsischen Landesarbeitsgericht ab dem 1. Januar 2014 sind nicht dargelegt worden.
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(1) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 der zuvor bereits ein Jahr in Vollzeit zur Erprobung erfolgten Abordnung nicht hervor, dass auch sie zur Erprobung erfolgt ist. Bezogen auf den Verlängerungszeitraum reicht allein ein „auch“ (jedenfalls „ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung“) nicht aus, um mit der gebotenen Eindeutigkeit von einer Eignungserprobung ausgehen zu können. Auch sind tatsächliche Umstände dafür nicht aufgezeigt worden. Eine „weitere Bewährung in der zweiten Instanz“, für die ebenfalls keine tatsächlichen Umstände angeführt worden sind, kann nicht als zwingender Grund iSd. Vorgaben angesehen werden.
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(2) Auch ein anderer zwingender Grund ist für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 nicht erkennbar.
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(a) Eine Erprobungsabordnung eines anderen Richters, auch wenn diese in Teilzeitbeschäftigung erfolgt, ist an sich kein zwingender Grund, der eine Besetzung in Abordnung der anderen Hälfte der Vorsitzendenstelle tragen kann.
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(b) Allein die Befürchtung, es werde vermutlich zu einem vorübergehenden Ausfall planmäßiger Richter kommen, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern dann neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden könnte, reicht nicht aus. Abgesehen davon, dass sich eine solche Situation nach der dienstlichen Auskunft (erst) ab April 2014 abzeichnete, während der Geschäftsverteilungsplan für 2014 mit der durchgängigen Besetzung der Kammer 7 durch Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T bereits im Dezember 2013 beschlossen worden ist, ist allein die Befürchtung eines durch die regelmäßige Vertretung nicht auffangbaren Ausfalls planmäßiger Richter kein zwingender Grund, sondern erst eine solcherart eingetretene Situation.
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(c) Ein aufzuarbeitender – also bereits tatsächlich bestehender – zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist nicht dargelegt worden.
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dd) Auf den mit der Beschwerde gerügten Gesichtspunkt der Teilabordnung kommt es nach allem nicht mehr an.
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III. Wegen der im Jahre 2015 fortbestehenden Abordnung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T, für die ein zwingender Abordnungsgrund nicht erkennbar ist, macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts Gebrauch.

Hauck

Breinlinger

Winter

Eimer

C. Gothe