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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 17.1.2012, 1 ABR 62/10

eingetragen von Thilo Schwirtz am März 21st, 2012

Betriebsrat – Gesundheitsschutz – Ausgleich für Nachtarbeit

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 15. Juli 2010 – 5 TaBV 2/10 – wird zurückgewiesen.

Gründe

1
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
2
Die tarifgebundene Arbeitgeberin betreibt ein Krankenhaus. In ihrem Unternehmen gilt der Manteltarifvertrag für Unternehmen des HELIOS Konzerns vom 16. Januar 2007 (TV HELIOS), dessen § 27 Abs. 1 lautet:
„§ 27 Zusatzurlaub, Sonderurlaub
(1)
Der Beschäftigte erhält bei einer Leistung im Kalenderjahr von mindestens
a)
150 Nachtarbeitsstunden
1 Arbeitstag,
b)
300 Nachtarbeitsstunden
2 Arbeitstage,
c)
450 Nachtarbeitsstunden
3 Arbeitstage,
d)
600 Nachtarbeitsstunden
4 Arbeitstage
Zusatzurlaub im folgenden Kalenderjahr.
Für Beschäftigte, die in Wechselschichten arbeiten (§ 16 dieses Manteltarifvertrages), erhöht sich der Zusatzurlaub nach vorstehenden lit. a) bis d) um jeweils 1 Arbeitstag. Nachtarbeitsstunden, die in Zeiträumen geleistet werden, für die Zusatzurlaub für Wechselschicht zusteht, bleiben bei der Ermittlung der Nachtarbeitsstunden nach vorstehendem Satz 1 unberücksichtigt.“
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Daneben gilt bei der Arbeitgeberin der mit dem Marburger Bund abgeschlossene Manteltarifvertrag für Unternehmen des HELIOS Konzerns vom 14. Dezember 2006 (TV-Ärzte HELIOS). Die darin getroffenen Bestimmungen über den Zusatzurlaub von Ärzten entsprechen der Regelung in § 27 Abs. 1 TV HELIOS. Die Arbeitgeberin wendet die mit ver.di und dem Marburger Bund abgeschlossenen Tarifverträge auch auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer an.
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Am 5. Oktober 2009 beschloss eine auf Antrag des Betriebsrats eingesetzte Einigungsstelle gegen die Stimmen der Vertreter der Arbeitgeberin einen Spruch über die „Ausgestaltung des Ausgleichsanspruchs für die Beschäftigten im Bereitschaftsdienst für Nachtarbeit nach § 6 Abs. 5 AZG“ (BV Bereitschaftsdienst). In dessen § 3 Abs. 1 ist für Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden ein Freizeitausgleich unter Fortzahlung des Entgelts vorgesehen.
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Die Arbeitgeberin hat mit ihrem am 19. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag den Spruch angefochten und zur Begründung geltend gemacht, der Einigungsstellenspruch sei unwirksam, weil ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats wegen der tariflichen Ausgleichsregelungen nicht bestehe.
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Die Arbeitgeberin hat – soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung – beantragt,
festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch vom 5. Oktober 2009 unwirksam ist.
7
Der Betriebsrat hat die Abweisung des Antrags beantragt.
8
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt dieser seinen Abweisungsantrag weiter.
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B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin zu Recht entsprochen.
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I. Der Antrag ist zulässig. Streiten die Betriebsparteien über die Rechtswirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs, ist die Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses und nicht dessen Aufhebung zu beantragen (BAG 15. März 2011 – 1 ABR 97/09 – Rn. 14, EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 41).
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II. Der Antrag ist begründet. Der Einigungsstellenspruch vom 5. Oktober 2009 ist unwirksam. Die Einigungsstelle war für die Regelung eines bezahlten Freizeitausgleichs für den in der Nachtzeit geleisteten Bereitschaftsdienst nicht zuständig. Der Betriebsrat hat wegen der bei der Arbeitgeberin geltenden tariflichen Ausgleichsregelungen für die Nachtarbeit kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.
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1. Die Entscheidung des Arbeitgebers über eine Ausgleichsregelung für Nachtarbeit kann nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.
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a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber diese aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat und ihm bei der Gestaltung Handlungsspielräume verbleiben. Dadurch soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen des Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Eine Ausgestaltung als Rahmenvorschrift liegt vor, wenn die gesetzliche Regelung Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erfordert, die zu treffenden Maßnahmen aber nicht selbst detailliert beschreibt, sondern dem Arbeitgeber lediglich ein zu erreichendes Schutzziel vorgibt. Ob die Rahmenvorschrift dem Gesundheitsschutz unmittelbar oder mittelbar dient, ist unerheblich. Ebenso wenig kommt es auf eine subjektive Regelungsbereitschaft des Arbeitgebers an (BAG 18. August 2009 – 1 ABR 43/08 – Rn. 16, 18, BAGE 131, 351).
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b) Nach der Senatsrechtsprechung besitzt der Betriebsrat bei der Entscheidung des Arbeitgebers darüber, ob ein Ausgleich für Nachtarbeit nach § 6 Abs. 5 ArbZG durch bezahlte freie Tage oder durch einen angemessenen Entgeltzuschlag zu gewähren ist, grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der in § 6 Abs. 5 ArbZG vorgesehene Ausgleichsanspruch dient zumindest mittelbar dem Gesundheitsschutz, weil er die Nachtarbeit mit Zusatzkosten belastet und so für den Arbeitgeber weniger attraktiv macht (26. April 2005 – 1 ABR 1/04 – zu B II 2 a bb (1) (a) (aa) der Gründe, BAGE 114, 272; 26. August 1997 – 1 ABR 16/97 – zu B II 2 b der Gründe, BAGE 86, 249).
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2. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG entsteht jedoch nicht, wenn eine tarifliche Ausgleichsregelung besteht, die zum Wegfall der Wahlmöglichkeit des Arbeitgebers führt. § 6 Abs. 5 ArbZG überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen deren größerer Sachnähe den Tarifvertragsparteien und schafft nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch. Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, wie sie den Ausgleich regeln. Um den gesetzlichen Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG zu suspendieren, muss die tarifliche Regelung aber eine Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen darstellen. Dies folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ und entspricht dem Sinn und Zweck des dem Gesundheitsschutz dienenden § 6 Abs. 5 ArbZG (BAG 26. April 2005 – 1 ABR 1/04 – BAGE 114, 272; 26. August 1997 – 1 ABR 16/97 – zu B II 1 b aa der Gründe, BAGE 86, 249).
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3. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ohne Bedeutung, ob die tarifliche Ausgleichsregelung als abschließende Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG anzusehen ist. Nach § 6 Abs. 5 ArbZG entfällt die Pflicht des Arbeitgebers zur Bestimmung des Ausgleichs der mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen, wenn in seinem Betrieb entweder normativ oder kraft einzelvertraglicher Bezugnahme eine tarifliche Regelung gilt, die eine materielle Kompensation für die Erschwernisse enthält, die mit der Heranziehung zur Nachtarbeit verbunden sind. Haben die Tarifvertragsparteien einen solchen Ausgleich festgelegt, besteht keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers mehr, selbst eine solche zu schaffen. Es fehlt an der durch eine arbeitsschutzrechtliche Rahmenvorschrift begründeten Pflichtenstellung des Arbeitgebers, von deren Ausübung das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG abhängt.
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4. Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, eine Entscheidung nach § 6 Abs. 5 ArbZG über den Ausgleich für Bereitschaftsstunden zu treffen, die während der Nachtzeit geleistet werden. Die bei ihr geltenden tariflichen Bestimmungen sehen bereits eine solche Kompensation vor.
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Bereitschaftsdienststunden, die in der Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistet werden, sind Nachtarbeitsstunden iSv. § 15 Abs. 3, § 27 Abs. 1 TV-Ärzte HELIOS, die den tariflichen Anspruch auf Zusatzurlaub auslösen (BAG 14. September 2011 – 10 AZR 208/10 – Rn. 11 f.). Dementsprechend haben nicht nur die vom TV-Ärzte HELIOS erfassten ärztlichen Mitarbeiter, sondern auch die in den persönlichen Geltungsbereich des mit dem TV-Ärzte HELIOS insoweit übereinstimmenden TV HELIOS fallenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen Zusatzurlaub für die in der Nachtzeit geleisteten Bereitschaftsstunden. Die tariflichen Ausgleichsregelungen gelten für alle Arbeitnehmer, die zu Bereitschaftsdiensten in der Nachtzeit herangezogen werden. Die Arbeitgeberin wendet den TV-Ärzte HELIOS und den TV HELIOS unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer aufgrund einer vertraglichen Bezugnahme in ihrem Betrieb an.
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5. Danach lagen die Voraussetzungen für eine betriebliche Ausgleichsregelung nach § 6 Abs. 5 ArbZG nicht vor, an deren Ausgestaltung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 7 BetrVG zu beteiligen ist. Dies führt zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 5. Oktober 2009.
Schmidt
Linck
Koch
Olaf Kunz
Federlin