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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 13.3.2013, 7 ABR 47/11

eingetragen von Thilo Schwirtz am August 21st, 2013

Aktives Wahlrecht nach § 5 Abs 2 S 1 DrittelbG – Nichtigkeit einer Wahl – mitbestimmungsrechtlicher Unternehmensbegriff)

Leitsätze

Führen mehrere – jeweils der drittelparitätischen Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 DrittelbG unterliegende – Unternehmen einen (oder mehrere) Gemeinschaftsbetrieb(e), haben die mit einem Unternehmen arbeitsvertraglich verbundenen Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs (oder der gemeinsamen Betriebe) das aktive Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat bei jedem Trägerunternehmen.

Tenor

 

 

Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. März 2011 – 9 TaBV 163/10 – wird zurückgewiesen.

 

Gründe

1
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl eines Arbeitnehmervertreters in den Aufsichtsrat.
2
Antragsteller sind die zu 1. bis 7. beteiligten wahlberechtigten Arbeitnehmer der zu 8. beteiligten D V GmbH, welche ca. 830 Arbeitnehmer beschäftigt. Der zu 9. Beteiligte ist der bei ihr gebildete Aufsichtsrat. Die D V GmbH und die zu 11. beteiligte D I GmbH, die ca. 550 Arbeitnehmer beschäftigt, gehören zum Konzern der D AG. Sie führen gemeinsam fünf Betriebe.
3
Am 3. März 2010 fand bei der D V GmbH die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) statt, an der auch die Arbeitnehmer der D I GmbH teilnahmen. Ausweislich des am 12. März 2010 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Wahlergebnisses wurde der Beteiligte zu 10. als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer gewählt.
4
Mit am 19. März 2010 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift haben die zu 1. bis 7. beteiligten Antragsteller die Nichtigkeit, hilfsweise Unwirksamkeit der Wahl geltend gemacht. Sie haben die Ansicht vertreten, die Arbeitnehmer der D I GmbH seien zu Unrecht an der Wahl beteiligt worden. Es seien nur die Arbeitnehmer aktiv wahlberechtigt, die in einem Arbeitsverhältnis mit der D V GmbH stünden.
5
Die Antragsteller haben beantragt
1.
festzustellen, dass die bei der Beteiligten zu 8. nach Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes durchgeführte Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat nichtig ist;
2.
hilfsweise, die bei der Beteiligten zu 8. nach Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes durchgeführte Aufsichtsratswahl für unwirksam zu erklären.
6
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Die Beschwerde der Antragsteller blieb vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Die Beteiligten zu 8., 10. und 11. beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen erkannt, dass die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer bei der D V GmbH weder nichtig noch anfechtbar ist.
8
I. Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet. Die streitbefangene Wahl ist nicht nichtig.
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1. Der Hauptantrag ist zulässig.
10
a) Die Feststellung der Nichtigkeit einer Wahl nach dem DrittelbG kann – unabhängig von den formellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 11 DrittelbG – von jedermann jederzeit geltend gemacht werden, sofern hieran ein rechtliches Interesse besteht (vgl. BAG 16. April 2008 – 7 ABR 6/07 – Rn. 9, BAGE 126, 286; ErfK/Oetker 13. Aufl. § 11 DrittelbG Rn. 5 mwN). Dies ist bei den Antragstellern, die Arbeitnehmer der D V GmbH sind, der Fall.
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b) Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Auch wenn das Datum der Wahl im Antrag nicht wiedergegeben ist, folgt aus der Antragsbegründung das Begehren der Antragsteller, die Nichtigkeit der am 3. März 2010 bei der D V GmbH durchgeführten Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer festzustellen.
12
2. Der Hauptantrag ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die in einem Arbeitsverhältnis zur D I GmbH stehenden Arbeitnehmer berechtigt waren, an der bei der D V GmbH durchgeführten Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer teilzunehmen. Der behauptete Verstoß gegen die Vorschriften über das aktive Wahlrecht nach dem DrittelbG wäre schon nicht geeignet, die Nichtigkeit der Wahl vom 3. März 2010 zu begründen.
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a) Die Nichtigkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer kann wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden, in denen die Voraussetzungen der Wahl nicht vorlagen oder bei der Wahl gegen fundamentale Wahlgrundsätze in so hohem Maße verstoßen wurde, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegt (für die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl vgl. BAG 21. September 2011 – 7 ABR 54/10 – Rn. 26; vgl. auch HWK/Seibt 5. Aufl. § 11 DrittelbG Rn. 8 mwN), beispielsweise weil die erstmalige Wahl der Arbeitnehmervertreter ohne vorheriges Statusverfahren durchgeführt wurde (so BAG 16. April 2008 – 7 ABR 6/07 – Rn. 11, BAGE 126, 286).
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b) Hiernach ist der von den Antragstellern behauptete Verstoß gegen die Vorschriften über das aktive Wahlrecht nach dem DrittelbG nicht geeignet, die Nichtigkeit der Wahl vom 3. März 2010 zu begründen.
15
aa) Die Verkennung des Kreises der wahlberechtigten Arbeitnehmer hat in der Regel nicht die Nichtigkeit der durchgeführten Wahl zur Folge (vgl. für die Betriebsratswahl BAG 19. November 2003 – 7 ABR 25/03 -). Selbst wenn die bei der D I GmbH beschäftigten Arbeitnehmer an der Wahl des Mitglieds der Arbeitnehmer des bei der D V GmbH gebildeten Aufsichtsrats nicht hätten teilnehmen dürfen (vgl. aber dazu, dass sie zur Wahl berechtigt waren, unter B II 2 b der Gründe), wäre der Verstoß nicht so gewichtig, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorläge.
16
bb) Die Wahl ist auch nicht etwa deshalb nichtig, weil es bereits an den Voraussetzungen für die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer fehlte. Das als Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfasste zu 8. beteiligte Unternehmen ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 DrittelbG verpflichtet, einen drittelbeteiligten Aufsichtsrat zu bilden. Es beschäftigt in der Regel mehr als 500 vertraglich „eigene“ Arbeitnehmer. Es kommt nicht darauf an, ob bei der Ermittlung des Schwellenwertes nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG die in den fünf gemeinsamen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer der D I GmbH „mitzählen“.
17
II. Der damit zur Entscheidung anfallende Hilfsantrag der Wahlanfechtung ist zulässig, aber unbegründet.
18
1. Die formellen Voraussetzungen für eine Wahlanfechtung liegen vor.
19
a) Die Wahlanfechtung ist statthaft. Nach § 11 Abs. 1 DrittelbG kann die Wahl eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angefochten werden, wenn die Wahl fehlerhaft war.
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b) Die zu 1. bis 7. beteiligten Antragsteller sind als wahlberechtigte Arbeitnehmer der D V GmbH nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DrittelbG zur Anfechtung der Wahl befugt.
21
c) Die Anfechtungsfrist des § 11 Abs. 2 Satz 2 DrittelbG von zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Wahlergebnisses im elektronischen Bundesanzeiger ist eingehalten. Das Wahlergebnis wurde am 12. März 2010 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Wahlanfechtung ist am 19. März 2010 beim Arbeitsgericht eingegangen.
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2. Der Hilfsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist die Wahlanfechtung unbegründet.
23
a) Nach § 11 Abs. 1 DrittelbG kann die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
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b) Bei der am 3. März 2010 bei der D V GmbH durchgeführten Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer wurde nicht gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen. Die in einem Arbeitsverhältnis zu der D I GmbH stehenden Arbeitnehmer haben zu Recht an der Wahl teilgenommen. Sie sind nach § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG wahlberechtigte Arbeitnehmer der D V GmbH, auch wenn sie mit ihr keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben.
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aa) Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG sind zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer wahlberechtigt die Arbeitnehmer des Unternehmens, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Führen mehrere – jeweils der drittelparitätischen Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 DrittelbG unterliegende – Unternehmen einen (oder mehrere) Gemeinschaftsbetrieb(e), haben die mit einem Trägerunternehmen arbeitsvertraglich verbundenen Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs (oder der gemeinsamen Betriebe) das aktive Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat bei jedem Trägerunternehmen. Sie sind iSv. § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG (auch) Arbeitnehmer des oder der anderen Unternehmen, mit dem sie keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Das ergibt eine am Normwortlaut unter Hinzuziehung der Gesetzeshistorie, an der Systematik sowie an Sinn und Zweck der Unternehmensmitbestimmung orientierte Auslegung von § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG (eine unternehmensmitbestimmungsrechtliche „Mehrfachberücksichtigung“ der Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs und insbesondere deren aktives Wahlrecht bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer in allen Trägerunternehmen nehmen im Schrifttum an: Däubler FS Zeuner S. 19, 31; Fuchs/Köstler/Pütz Handbuch zur Aufsichtsratswahl 5. Aufl. Rn. 31; Gaul Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 34 Rn. 45; Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 3. Aufl. § 10 MitbestG Rn. 21; Hanau ZfA 1990, 115, 127; Hjort NZA 2001, 696, 701; HWK/Seibt § 3 DrittelbG Rn. 3; Raiser/Veil MitbestG 5. Aufl. § 3 Rn. 44; Säcker ZfA 2008, 51, 61; ders. Die Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz Rn. 213; Thüsing/Forst FS Kreutz S. 867, 880; Wiedemann SAE 1962, 212, 213; WWKK/Koberski 4. Aufl. § 3 MitbestG Rn. 42; WWKK/Wißmann § 10 MitbestG Rn. 24; aA Herrmann Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen S. 166 f.; Hohenstatt/Schramm NZA 2010, 846, 850; Windbichler Arbeitsrecht im Konzern S. 501; vgl. auch ErfK/Oetker § 5 DrittelbG Rn. 6 und §§ 10 – 18 MitbestG Rn. 3 [bei § 1 DrittelbG Rn. 28 aber auf die hM im Schrifttum verweisend]; diff. Bonanni Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen S. 293; Wanhöfer Gemeinschaftsbetrieb und Unternehmensmitbestimmung S. 121; Zöllner FS Semler S. 995, 1012). Eine Entscheidung darüber, ob die Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs in den Aufsichtsrat des Trägerunternehmens, mit dem sie keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben, wählbar sind, erfordert der Streitfall ebenso wenig wie eine Aussage darüber, ob diese Arbeitnehmer bei den in § 1 Abs. 1 DrittelbG genannten Schwellenwerten den Trägerunternehmen „wechselseitig“ zugerechnet werden (zu Letzterem – differenzierend nach dem Umfang der Arbeitsleistung – BAG 1. Dezember 1961 – 1 ABR 15/60 – [zur Berechnung der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte des § 77 Abs. 2 BetrVG 1952]; vgl. auch LG Hannover 14. Mai 2012 – 25 O 65/11 – [mit zust. Anm. Lüers/Schomaker BB 2013, 565]; LG Hamburg 21. Oktober 2008 – 417 O 171/07 – [zum Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer nach dem MitbestG]; vgl. ferner zur mitbestimmungsrechtlichen Berücksichtigung von Fremdpersonal Hanseatisches OLG Hamburg 29. Oktober 2007 – 11 W 27/07 – [keine Berücksichtigung von gestelltem Personal bei den Schwellenwerten von § 1 DrittelbG]; OLG Düsseldorf 12. Mai 2004 – 19 W 2/04 – [keine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Schwellenwerten von §§ 76, 77, 77a BetrVG 1952]).
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(1) Nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG sind wahlberechtigt die „Arbeitnehmer des Unternehmens“.
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(a) Dies legt auf den ersten Blick nahe, als wahlberechtigt nur diejenigen Arbeitnehmer anzusehen, die einen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen geschlossen haben, bei dem ein drittelbeteiligter Aufsichtsrat zu bilden ist. Die Norm formuliert zwar nicht „Vertragsarbeitnehmer“ oder „Arbeitnehmer des Vertragsarbeitgebers“. Sie bezieht sich aber auch nicht auf den „Betrieb“ oder den „Betriebsarbeitgeber“. Nach dem fachsprachlich feststehenden Sprachgebrauch sind die Kategorien „Betrieb“ und „Unternehmen“ zu unterscheiden. Für sich genommen kann der Begriff „Unternehmen“ nicht dahin ausgelegt werden, dass mit ihm (auch) „Betrieb“ gemeint sei (vgl. hierzu BAG 29. September 2004 – 1 ABR 39/03 – zu B III 2 a aa der Gründe, BAGE 112, 100). Aus den allgemeinen Begriffsbestimmungen im Drittelbeteiligungsgesetz folgt nichts anderes. Während „Arbeitnehmer“ und „Betrieb“ nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 DrittelbG – unter Verweis auf das Betriebsverfassungsgesetz – legaldefiniert sind, kennt das Drittelbeteiligungsgesetz keinen eigenständigen Unternehmensbegriff (zum BetrVG vgl. BAG 17. März 2010 – 7 AZR 706/08 – Rn. 15). Bei der betrieblichen Mitbestimmung wird im Zusammenhang mit dem Begriff des Unternehmens an die in anderen Gesetzen vorgeschriebenen Rechts- und Organisationsformen angeknüpft (vgl. BAG 13. Februar 2007 – 1 AZR 184/06 – Rn. 17 mwN, BAGE 121, 168). Auch § 1 DrittelbG mit der Normüberschrift „Erfasste Unternehmen“ verwendet den Unternehmensbegriff stellvertretend für die Rechtsform des jeweiligen Unternehmensträgers (AG, GmbH usw.; vgl. zu § 1 MitbestG Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht § 1 MitbestG Rn. 35). Der mitbestimmungsrechtliche Unternehmensbegriff ist damit kein anderer als der der betrieblichen Mitbestimmung.
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(b) Allerdings verbietet die textliche Fassung von § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG auch kein Verständnis dahingehend, als Arbeitnehmer „des“ Unternehmens – auch – diejenigen anzusehen, die in einem von diesem Unternehmen geführten Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt sind, ohne dass sie mit diesem Unternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Der Gemeinschaftsbetrieb ist ein Betrieb aller und jedes der an ihm beteiligten Unternehmen. Daher ist es vom Wortsinn her nicht ausgeschlossen, alle in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer als Arbeitnehmer aller und jedes der beteiligten Unternehmen anzusehen. Die Formulierung „des Unternehmens“ in § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG lässt sich auch dahin verstehen, dass damit inhaltlich eine Zugehörigkeit im weitesten Sinn ausgedrückt werden soll. Wortlaut und Wortsinn sind nicht überschritten, wenn man dem Possessivgenitiv eine „Zuordnungsbedeutung“ (allg. hierzu auch Duden 8. Aufl. Bd. 4 Die Grammatik Rn. 1268) dahingehend entnimmt, die Arbeitnehmer des von einem Unternehmen geführten Gemeinschaftsbetriebs diesem Unternehmen – auch ohne „arbeitsvertragliches Band“ – zuzurechnen. Dies steht nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 29. September 2004 (- 1 ABR 39/03 – BAGE 112, 100), wonach es bei der an die Belegschaftsgröße des Unternehmens anknüpfenden Eröffnung des Mitbestimmungstatbestands nach § 99 BetrVG auf die Anzahl der vom betreffenden Unternehmen als Vertragsarbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer ankommt. Die Formulierungen in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG („In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern“) und in § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG („die Arbeitnehmer des Unternehmens“) sind zwar ähnlich, aber nicht identisch. Vor allem aber stehen sie in einem unterschiedlichen Sinnzusammenhang.
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(c) Aus der Entstehungsgeschichte des DrittelbG ergibt sich deutlich, dass mit der Formulierung „Arbeitnehmer des Unternehmens“ in § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG alle in Gemeinschaftsbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer – unabhängig von ihrer arbeitsvertraglichen Bindung – gemeint sind.
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(aa) Die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat war vor Inkrafttreten des Drittelbeteiligungsgesetzes (mit Ausnahme von § 13 DrittelbG am 1. Juli 2004) in den §§ 76 bis 87a des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Oktober 1952 (BetrVG 1952) geregelt. Die übrigen Vorschriften des BetrVG 1952 waren bereits durch die Neuregelung der Betriebsverfassung im Jahr 1972 aufgehoben worden. Der verbliebene „Regelungsrest“ zur Unternehmensmitbestimmung und die darauf aufbauende Wahlordnung aus dem Jahr 1953 blieben zunächst auch noch nach dem Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BetrVG-ReformG) in Kraft. Mit dem Zweiten Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004 (BGBl. I S. 974), das ua. eine Ablösung des BetrVG 1952 durch das Drittelbeteiligungsgesetz festlegt, wollte der Gesetzgeber den von ihm als „für die Praxis nur noch schwer handhabbar“ angesehenen „Regelungsrest“ durch „anwenderfreundliche Regelungen“ neu fassen, „ohne den bisherigen Geltungsbereich und den Inhalt des Gesetzes zu verändern“ (vgl. BT-Drucks. 15/2542 S. 1). Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Drittelbeteiligungsgesetzes heißt es in der Gesetzesbegründung ferner wörtlich (vgl. BT-Drucks. 15/2542 S. 10):
„Mit dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) wird das BetrVG 1952 abgelöst. Es handelt sich im Wesentlichen um die redaktionelle Neufassung unübersichtlicher Regelungen und damit um Rechtsbereinigung und Vereinfachung.“
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(bb) Die vormals in § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1952 geregelte Wahlberechtigung war betriebsbezogen formuliert. Die Vorschrift lautete:
„Die Vertreter der Arbeitnehmer werden in allgemeiner, geheimer, gleicher und unmittelbarer Wahl von allen nach § 7 des Betriebsverfassungsgesetzes wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebe des Unternehmens für die Zeit gewählt, die im Gesetz oder in der Satzung für die von der Hauptversammlung zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder bestimmt ist.“
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Nach der sprachlichen Fassung waren damit in gemeinsam geführten Betrieben tätige Arbeitnehmer solche aller Trägerunternehmen. Mit § 5 Abs. 2 DrittelbG wurde die „bisherige, sich durch eine Verweisung ergebende betriebsbezogene Formulierung in § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1952 … durch eine unternehmensbezogene Formulierung ersetzt“ (vgl. BT-Drucks. 15/2542 S. 13). Dem Gesetzgeber ging es offensichtlich um eine rein sprachliche Modifikation. Im Unterschied zu der Änderung des Gesetzeswortlauts in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch das BetrVG-ReformG (von „Betrieb“ in „Unternehmen“), mit der erklärtermaßen auch inhaltlich etwas anderes ausgedrückt ist (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des BetrVG-ReformG in BT-Drucks. 14/5741 S. 50; vgl. auch BAG 29. September 2004 – 1 ABR 39/03 – zu B III 2 c der Gründe, BAGE 112, 100), kommt in den Gesetzesmaterialien zum Drittelbeteiligungsgesetz an keiner Stelle ein inhaltlicher Änderungswille des Gesetzgebers zum Ausdruck. Im Gegenteil: Es widerspräche dem deutlich verlautbarten Regelungsziel, mit dem Drittelbeteiligungsgesetz die Bestimmungen des BetrVG 1952 zur Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat im wesentlichen Inhalt nicht verändern zu wollen, wenn man der unternehmensbezogenen Formulierung von § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG einen anderen Regelungsgehalt zur Wahlberechtigung als dem des betriebsbezogen verfassten § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1952 beimessen würde.
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(2) Die Gesetzessystematik spricht gleichfalls für die Berechtigung von Arbeitnehmern eines Gemeinschaftsbetriebs zu der Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat bei allen den gemeinsamen Betrieb führenden – und vom Drittelbeteiligungsgesetz erfassten – Unternehmen. Nach § 6 Satz 1 DrittelbG erfolgt die Wahl aufgrund von Wahlvorschlägen ua. „der Betriebsräte“. „Die Betriebsräte“ sind im Übrigen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Nach der gesetzlichen Betriebsverfassung ist der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen die für die Bildung des Betriebsrats maßgebliche Organisationseinheit, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs repräsentiert somit die Arbeitnehmer aller Trägerunternehmen unabhängig davon, mit welchem Unternehmen diese einen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Es erschiene eher unstimmig, bei dem aktiven Wahlrecht der in einem Gemeinschaftsbetrieb tätigen Arbeitnehmer nach dem Vertragsarbeitgeber zu differenzieren, während die Wahlvorschlags- und Wahlanfechtungsberechtigung dem Gremium ihrer Interessenvertretung unabhängig von einem Vertragsarbeitgeberbezug zukommt.
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(3) Sinn und Zweck der Unternehmensmitbestimmung sprechen deutlich für ein Verständnis des § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG dahingehend, dass die Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs ein auf die Aufsichtsräte aller Trägerunternehmen bezogenes aktives Wahlrecht haben.
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(a) Sinn des Mitbestimmungsrechts im Drittelbeteiligungsgesetz ist – wie zuvor in §§ 76 ff. BetrVG 1952 – die Sicherung der kollektiven Interessenvertretung der Belegschaft im Aufsichtsrat. Die Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer dienen dazu, die mit ihrer Unterordnung unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen zu mildern. Auch die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat dient der kollektiven Interessenvertretung der Belegschaft durch die Mitbestimmung im Hinblick auf die sozialen und personellen Auswirkungen wirtschaftlicher Unternehmerentscheidungen in einem wichtigen Organ des Unternehmensträgers (vgl. BGH 7. Februar 2012 – II ZB 14/11 – Rn. 26 mwN; BAG 18. Juni 1970 – 1 ABR 3/70 – zu 2 der Gründe, BAGE 22, 390).
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(b) Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs werden nicht nur durch die Entscheidungen desjenigen Unternehmens betroffen, mit dem sie einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern gleichermaßen von den unternehmerischen Entscheidungen des (oder der) weiteren am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen. Dem Gemeinschaftsbetrieb ist typisch, dass Entscheidungen eines an ihm beteiligten Unternehmens über dessen Unternehmensgrenzen hinaus wirken. Das Ziel der Repräsentation aller von den unternehmerischen Entscheidungen betroffenen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat kann daher bei Gemeinschaftsbetrieben am ehesten erreicht werden, wenn die dort beschäftigten Arbeitnehmer hinsichtlich der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bei allen Trägerunternehmen wahlberechtigt sind (zur teleologischen Auslegung ebenso – allerdings über die Wahlberechtigung hinausgehend und im Sinn einer allgemeinen Zurechnung der Arbeitnehmer zu allen Trägerunternehmen – Thüsing/Forst FS Kreutz S. 867, 870 ff.).
37
(4) Diesem Verständnis von § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG im Sinn eines „doppelten“ oder „mehrfachen“ aktiven Wahlrechts von Arbeitnehmern bei den Wahlen ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat oder die Aufsichtsräte des von zwei oder mehreren Unternehmen geführten Betriebs steht nicht entscheidend entgegen, dass die Belegschaften der Gemeinschaftsbetriebe in dem Aufsichtsrat des jeweiligen Trägerunternehmens gegenüber den Belegschaften anderer Betriebe des Unternehmens, in denen nur Vertragsarbeitnehmer beschäftigt werden, stärker repräsentiert sind, als es allein dem Verhältnis aller Vertragsarbeitnehmer des Unternehmens entspricht. Dem Gemeinschaftsbetrieb ist eigen, dass seine Belegschaft von arbeitnehmerrelevanten Entscheidungen der Gremien zweier oder mehrerer Unternehmen betroffen ist. Im Hinblick auf diese „doppelte“ oder „mehrfache“ Betroffenheit ist eine „doppelte“ oder „mehrfache“ Partizipation an den unternehmerischen Entscheidungsebenen von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Sie dient der Wahrung des Gleichlaufs zwischen arbeitgeberseitiger Entscheidungsmacht und Arbeitnehmerbeteiligung (vgl. Däubler FS Zeuner S. 19, 31; Thüsing/Forst FS Kreutz S. 867, 875).
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bb) Hiernach waren die Arbeitnehmer der D I GmbH berechtigt, an der am 3. März 2010 bei der D V GmbH durchgeführten Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer teilzunehmen. Sie sind Arbeitnehmer der von der D V GmbH und der D I GmbH gemeinsam geführten fünf Betriebe und damit wahlberechtigte Arbeitnehmer der D V GmbH iSv. § 5 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG, auch wenn sie in einem Arbeitsverhältnis mit der D I GmbH stehen.
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