Betriebsratsanhörung zur Kündigung und Ersetzung der Stellungnahme des Betriebsrats zur Massenentlassungsanzeige durch einen Interessenausgleich.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Zur Entgegennahme von Mitteilungen über die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ist nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG der Vorsitzende des Betriebsrats oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter berechtigt. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Vielzahl von Entlassungen (Massenentlassung), hat er diese nach Maßgabe des § 17 KSchG der Agentur für Arbeit anzuzeigen und der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Im Insolvenzfall ersetzt gemäß § 125 Abs. 2 InsO ein zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats, wenn in dem Interessenausgleich die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind.
Die Kündigungsschutzklage der Klägerin hatte wie in den Vorinstanzen auch vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale Leipzig war am 17. November 2008 mangels Teilnahme an der Betriebsräteversammlung in Hamm tatsächlich verhindert, das Anhörungsschreiben zur Kündigung entgegenzunehmen. Deshalb war seine Stellvertreterin nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zur Entgegennahme berechtigt, und das Anhörungsschreiben ist dem Betriebsrat der Filiale Leipzig am 17. November 2008 zugegangen. Die Beklagte hat die Kündigung vom 26. November 2008 damit erst nach Ablauf der Frist von einer Woche erklärt, innerhalb der ein Betriebsrat dem Arbeitgeber Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mitteilen kann. Eine Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats der Filiale Leipzig musste die Beklagte ihrer Massenentlassungsanzeige nicht beifügen. Für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung gelten nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren. Maßgebend ist, dass der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für den Abschluss des betriebsübergreifenden Interessenausgleichs zuständig war und in diesem die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet waren, denen gekündigt werden sollte. Damit hat der mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 2 InsO die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt.
[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2011]
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juli 2011 – 6 AZR 248/10 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 Sa 586/09 –
§ 102 BetrVG (Mitbestimmung bei Kündigungen)1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.2) …
§ 17 Anzeigepflicht
1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er
1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden.
2)…