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Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifvertrag

eingetragen von Thilo Schwirtz am November 17th, 2010

Maßgebendes Tarifrecht bei Branchenwechsel nach Betriebsübergang: In sechs Parallelentscheidungen hat der vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts gegen Einwände des Landesarbeitsgerichts an seiner Rechtsprechung festgehalten, wonach eine arbeitsvertragliche dynamische Verweisung auf das Tarifrecht einer bestimmten Branche (so genannte kleine dynamische Verweisung) über ihren Wortlaut hinaus nur dann als Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich/betrieblich geltenden Tarifvertrag (so genannte große dynamische Verweisung oder Tarifwechselklausel) ausgelegt werden kann, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt. Das gilt auch für Bezugnahmeklauseln, die aus Gründen des Vertrauensschutzes noch (BAG 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – BAGE 122, 74) als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen sind.

Im Fall des Betriebsübergangs geht eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB mit unverändert rechtsbegründender Bedeutung über. Davon zu trennen ist § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach die individualrechtliche Weitergeltung kollektivrechtlicher Normen angeordnet ist, einschließlich der darauf bezogenen Ablösungsregelung in dessen 1 Satz 3 BGB. Diese setzt die normative Geltung der Tarifnormen im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB voraus. Wenn die Tarifregelungen für das Arbeitsverhältnis vor Betriebsübergang kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung galten, ist für eine Berücksichtigung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kein Raum, weder direkt, noch analog oder im Wege der Auslegung.

In den heute entschiedenen Rechtsstreitigkeiten waren die Revisionen der Klägerinnen erfolgreich. Nachdem ihre Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte übergegangen sind, gilt für sie neben dem kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifvertrag, dem BMT-G II, auch der für allgemeinverbindlich erklärte Gebäudereiniger-Tarifvertrag. Das Verhältnis beider tariflicher Regelungen zueinander war nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu Gunsten des BMT-G II zu klären.

[Quelle: PM des Bundesarbeitsgerichts vom 17.11.2010]
Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 17. November 2010 – 4 AZR 391/09 – ua.
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteile vom 2. April 2009 – 15 Sa 1458/08 – ua.

§ 613a BGB (Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang)
1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

2) …

Weiter zum Sachverhalt: In diesem Rechtsstreit ging es um die Frage, ob ein Betriebsübergang mit Branchenwechsel zu einem Wechsel des für das übergegangene Arbeitsverhältnis maßgebenden Tarifrechts führt. Die Klägerin trat 1986 in die Dienste der Stadt R. ein, die Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands war. Der Formulararbeitsvertrag der Klägerin enthält folgende Regelung:

    „Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 31.01.1962 … in der jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an deren Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung. …“

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging zunächst auf die ebenfalls dem Kommunalen Arbeitgeberverband angehörende S. GmbH über. Zum 1. Juli 2004 übernahm die Beklagte von dieser den Bereich Reinigung. Die als Reinigungskraft beschäftigte Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte nicht. Ab Juli 2004 entlohnte die Beklagte die Klägerin nach den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen für die gewerblich Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von Vergütung für die Zeit ab Juli 2004 auf Basis des BMT-G II bzw. des zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD). Sie war  der Ansicht, aufgrund ihres Arbeitsvertrags finde auch nach dem Betriebsübergang auf die Beklagte das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes weiter auf sie Anwendung. Die Beklagte war der Auffassung, dass aufgrund der Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Gebäudereinigertarifvertrag für die Klägerin maßgeblich sei. Jedenfalls könne für die Zeit nach dem Betriebsübergang nicht von einer dynamischen Weitergeltung des BMT-G II ausgegangen werden.